Donnerstag, 23. Oktober 2008

Wir hatten schon immer Recht...

Was ihre Verdrängungsleistung betrifft, könnte es die SPD mit einer ganzen Flotte von Atomeisbrechern aufnehmen. Auf ihrem Sonderparteitag haben die sonst so streitlustigen Sozialdemokraten im Eiltempo einen früheren Vorsitzenden zurück ins Amt gewählt und einen Kanzlerkandidaten nominiert, ohne sich auch nur einer Streitfrage zu stellen. Der Diskussion über den Reformkurs der SPD sind Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier ebenso ausgewichen wie der Debatte um das rot-rote Bündnis in Hessen. Die neue Parteispitze tut so als seien mit Kurt Becks Rücktritt alle Probleme gelöst.

Gleichwohl gab Steinmeier ein gelungenes Debüt: In einer kämpferischen Rede verstand es der Kanzlerkandidat, die alten Werte der Sozialdemokratie mit der aktuellen Finanzkrise zu verknüpfen. Im Wahljahr 2009 könnte die SPD von der neuen Diskussion um soziale Gerechtigkeit profitieren. Auch wenn die SPD zurecht für sich in Anspruch nimmt, frühzeitig vor den Exzessen auf den Finanzmärkten gewarnt zu haben: Jetzt kommt es nicht darauf an, wer Recht hatte. Was zählt ist der schnellste Weg aus der Krise. Und den gibt im Zweifel die Kanzlerin vor. Der populäre SPD-Finanzminister Peer Steinbrück leitet das Krisenmanagement, doch CDU-Chefin Angela Merkel erntet die Lorbeeren. Deshalb ist es fraglich, wie sehr die SPD im Wahljahr wird punkten können. Solange die Krise andauert, sind Müntefering und Steinmeier ohnehin die Hände gebunden. In schweren Zeiten erwarten die Bürger, dass die Koalition zusammenhält. Wer Streit sät, wird vom Wähler abgestraft.

Vollgas statt Schuldenbremse

Die Bundesregierung kann noch so sehr um den heißen Brei herumreden - das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2011 die Neuverschuldung auf Null zu reduzieren, ist nicht mehr zu halten. Der Staatskasse drohen unabsehbare Risiken: Selbst wenn der Bund für weniger Banken bürgen muss als befürchtet - durch die internationale Finanzkrise steht Deutschland am Rande einer Rezession.

Die gigantische Summe von 500 Milliarden Euro, die Bund und Länder zur Stabilisierung des Finanzmarktes bereitgestellt haben, verzerrt offenbar die Wahrnehmung: Immer lauter wird der Ruf nach einem milliardenschweren Konjunkturprogramm. Der Staat, heißt es, müsse ja auch etwas für die Bürger tun. Hinter dieser Forderung stehen gleich mehrere Missverständnisse. Erstens handelt die Regierung schon jetzt im Sinne der Bürger, wenn sie durch die Garantie von Liquidität den Kollaps einzelner Banken verhindert. Zweitens würde sich ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm - wie schon so oft in der Geschichte - schnell als Strohfeuer erweisen. Durchaus sinnvoll wäre dagegen das Vorziehen ohnehin geplanter Steuererleichterungen. Gezielte Anreize etwa für den Kauf sparsamer Neuwagen könnten die Wirtschaft zusätzlich stimulieren, ohne den Bundeshaushalt zu stark zu belasten. Auch in schweren Zeiten muss die Koalition zu ihrem Ziel stehen, die Neuverschuldung zu stoppen.

Die Würde des Menschen ist undurchleuchtbar

Dass alle Tabus und alle Hüllen fallen, dass Passagiere auf Flughäfen elektronisch entkleidet und bis auf die Haut durchleuchtet werden, das hätte sich selbst der Überwachungspoet George Orwell in seinen kühnsten Phantasien nicht ausgemalt. Mit den "Nacktscannern" erreicht der moderne Überwachungsstaat eine neue Dimension. Datenschützer und Bürgerrechtler gehen auf die Barrikaden, doch die EU-Kommission hat mit der neuen Technik kein Problem: Die Durchleuchtungsmaschine sei technisch einwandfrei - und der Striptease am Flughafen "freiwillig", heißt es.

In Wahrheit hat der Bürger kaum noch eine Chance, sich der Überwachungsapparatur zu entziehen. Freiwillig und unbemerkt lassen wir unsere Konten vom Finanzamt durchleuchten, unsere Telefondaten speichern, unsere Handys orten. Wer am öffentlichen Leben teilnehmen will, kann sich der täglichen Zwangsdurchleuchtung nicht entziehen. Das beginnt morgens am Bahnhof und endet abends am Geldautomaten. Die Erfahrung lehrt, dass jede verfügbare Technik auch zum Einsatz kommt - also auch die Scanner an Flughäfen. Die Väter unserer Verfassung konnten nicht ahnen, zu welchen Exzessen die Angst vor Terroranschlägen führen würde. Sonst hätten sie den ersten Artikel des Grundgesetzes gewiss ergänzt: Die Würde des Menschen ist unantastbar - und undurchleuchtbar.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Die Schrödermünteplatzeckbeckmünte-Partei

Dass die SPD in schöner Regelmäßigkeit fast jedes Jahr einen neuen Vorsitzenden wählt, daran hat man sich nach den Rücktritten von Schröder, Müntefering, Platzeck und Beck schon gewöhnt. Nur die Harmonie, die in der SPD gegenwärtig um sich greift, ist noch gewöhnungsbedürftig. Obwohl der erhoffte "Münte-Effekt" bisher ausgeblieben ist und die SPD fünf Wochen nach dem Führungswechsel in Umfragen weiter bei 25 Prozent dümpelt, hat das Hauen und Stechen ein Ende gefunden. Statt mit sich selbst beschäftigt die SPD sich vorerst wieder mit Politik und dem politischen Gegner.

Mit Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und dem neuen alten Vorsitzenden Franz Müntefering hat die SPD ihre Chancen für das Superwahljahr 2009 deutlich verbessert. Die Angriffsformation steht: Während Außenminister Steinmeier weiter den Staatsmann gibt, wird Müntefering auf Angriff spielen. Komplettiert wird die neue Troika durch Peer Steinbrück, den populären Finanzminister, der gegenwärtig alles daran setzt, der Bundeskanzlerin in der Bankenkrise die Schau zu stehlen.

Die Personalfragen sind geklärt, was fehlt ist ein Programm. Bisher haben Müntefering und Steinmeier ihre Partei im Unklaren gelassen, wie sie sich den künftigen Kurs der SPD vorstellen: Ab durch die Mitte, zurück nach rechts oder weiter nach links? Spätestens, wenn 2009 das Wahlprogramm vorliegt, wird die neue Harmonie der SPD auf eine ernste Probe gestellt.

Freitag, 10. Oktober 2008

Konkurrenz am rechten Rand

Der Union droht Gefahr von Rechts: Nach dem Wahlerfolg in Bayern könnten die Freien Wähler auch bei Bundestagswahl 2009 antreten. CDU und CSU stehen der konservativen Konkurrenz ratlos gegenüber.

Der Mann, der Angela Merkel gefährlich werden kann, heißt Armin Grein, ist pensionierter Landrat, 69 Jahre alt und wohnhaft im fränkischen Marktheidenfeld. Bisher ist Grein als Bundesvorsitzender der Freien Wähler (FW) kaum in Erscheinung getreten. Die 1946 gegründeten Wählergruppen waren nach Kriegsende fast ausschließlich auf kommunaler Ebene aktiv - nach eigenem Bekunden "frei von parteilichen Interessen". Obwohl sich die Freien Wähler großen Zulaufs erfreuen, sind sie beim Einzug in die Länderparlamente meist gescheitert. Der Triumph von Bayern, wo die Freien aus dem Stand mehr als zehn Prozent der Stimmen holten, könnte die Trendwende markieren.

Beflügelt vom Erfolg im Süden, wollen die Wählergruppen nun auch bei den Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein antreten. Selbst eine Kandidatur bei der Bundestagswahl 2009 ist im Gespräch. "Um das Ganze aufzubauen, braucht es Zeit und Geld", sagt Bundeschef Grein. Um die Fünf-Prozent-Hürde überwinden zu können, müssten die Freien Wähler flächendeckend antreten. Die Gruppierung bringt es zwar in ganz Deutschland auf rund 260000 Mitglieder - fast halb so viele wie die CDU - ist jedoch bisher nur in jedem zweiten Bundesland etabliert. Besonders in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben die Freien ihre Bastionen. Bundeschef Grein räumt ein, dass eine bundesweite Ausdehnung intern höchst umstritten ist. Es gebe in den Gemeinde- und Stadträten viele Mitglieder, die schon der Landespolitik kritisch gegenüber stehen - ganz zu schweigen von einer Bundestagskandidatur. Auch Grein zeigt sich skeptisch: "Ich gehe kein Abenteuer ein, wo ich von vornherein weiß, dass es nicht gelingt."

Auch wenn die Freien Wähler noch zögern - in den Parteizentralen von CDU und CSU schrillen die Alarmglocken. Nachdem die CSU in Bayern um mehr als 17 Prozent abstürzte, kommt die Union bundesweit in Umfragen nur noch auf 33 Prozent. Gleichzeitig ermittelten Wahlforscher, dass sich fast jeder zweite Deutsche vorstellen kann, seine Stimme den Freien zu geben.

Weil die Union die Gründung einer zweiten bürgerlichen Partei fürchtet, wird der Ruf nach einer Kurskorrektur immer lauter: Statt Stammwähler mit Themen wie Klimaschutz und Krippenausbau zu verscheuchen, müssten endlich mehr Akzente in der Steuer- und Sicherheitspolitik gesetzt werden, heißt es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Gerade die bürgerlichen Wähler fühlten sich vom Staat ungerecht behandelt, warnt der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Karl Lauk. "Die Union muss die verbleibende Zeit in der Großen Koalition dafür nutzen, Profil zu gewinnen. Wenn sie das versäumt, droht ihr im Bund ein ähnliches Schicksal wie der CSU in Bayern."

Der neue CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kündigte in seiner Antrittsrede an, er werde neben Wirtschafts- und Sozialpolitik "auch das Kernwähler-Potenzial der Nationalkonservativen pflegen". Seehofers Sorge: Die Freien Wähler könnten mit populistischen und radikalen Tönen das Vakuum am rechten Rand füllen. Zum bundesweiten Durchbruch fehle der Rechtspartei dann nur noch ein prominenter Kopf, meint ein weiterer Unionsmann: "Wenn Friedrich Merz oder Wolfgang Clement in den Ring steigen, dann kriegen wir dasselbe Problem wie die SPD mit Lafontaine und der Linken." Eine Gefahr, die auch der konservative Vordenker Wolfgang Schäuble beschreibt: "Natürlich muss die Union in Deutschland immer darauf achten, sich nicht von der Entwicklung der Sozialdemokraten anstecken zu lassen", mahnt der Innenminister. Bisher aber sei es CDU und CSU in ihrem Spektrum gelungen, "eine Zerfaserung zu verhindern und ihre Integrationskraft zur Mitte hin zu bewahren", so Schäuble.

Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel hält die Warnungen für überzogen. Sie will die Union weiter als "Partei der Mitte" behaupten. Hauptgegner sei die SPD, der eingeschlagene Modernisierungskurs deshalb "alternativlos", meint Merkel. Das Dilemma der CDU: Trotz moderner Themen wird sie in der Bevölkerung immer mehr als Rentnerpartei wahrgenommen. In einer Allensbach-Umfrage schrieben Bürger der Union ein "gefühltes Alter" von 60 Jahren zu. Die SPD kam immerhin auf 55, die Grünen auf 40 Jahre.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Die Auferstehung eines Unbequemen

Es ist der späte Sieg des ewigen Zweiten: Mit Horst Seehofer setzt sich ein Mann an die Spitze der CSU, dessen politische Karriere einmalig ist in der deutschen Politik. Schon oft war er gescheitert, jetzt steht er ganz oben – in Ehrfurcht erstarrt. Kann der künftige Ministerpräsident die Erwartungen erfüllen, die er selbst geweckt hat?

Der Mann, der an diesem Abend in der Lobby eines Hotels vor einem Glas Bier sitzt, wirkt müde und mausgrau. Es ist der Tag, an dem sein „Lebenstraum“ in Erfüllung ging, es ist die Stunde seines größten Triumphs. Doch Horst Seehofer ist nicht zum Feiern zumute. Zwei Nächte hat der 59-Jährige nicht geschlafen, stattdessen Telefonlisten abgearbeitet und Gespräche geführt. Die Menschen, die nun zu später Stunde an ihm vorbeilaufen, die ihm die Hand hinstrecken wollen, um zu gratulieren, nimmt er kaum wahr. Der Zwei-Meter-Mann ist ins Sofa versunken und in Gedanken. Es scheint, als sei Seehofer auf sich allein gestellt, wie schon so oft in seiner politischen Karriere.

Wenige Stunden zuvor hatte er eine öffentliche Erklärung abgegeben. Es ist, wie sich später zeigen wird, seine Abschiedsvorstellung in Berlin. Die Journalisten im Bundestag kennen ihn als Sozialapostel und Sunnyboy, als rauflustigen Rebellen und notorischen Nörgler, als Spötter und Solisten. An diesem Tag erleben sie einen anderen Seehofer, einen von wachsenden Selbstzweifeln und großer Ratlosigkeit geplagten Kandidaten, den die Bürde der neuen Ämter fast in die Knie zwingt. Als müsse er Halt suchen, klammert sich Seehofer mit beiden Händen am Rednerpult fest. „Die Aufgabe, für die ich jetzt kandidieren werde, ist eine sehr, sehr große und verantwortungsvolle. Es geht schlicht und einfach darum, die Christlich-Soziale Union in ihrem Mythos, in ihrer Einmaligkeit, in ihrer Erfolgsgeschichte der letzten fast fünf Jahrzehnte zu stabilisieren, Verlorenes zurückzugewinnen und die Anforderungen der Zukunft einer modernen, frischen Volkspartei zu erfüllen“, sagt Seehofer ins Mikrofon, den Blick starr nach vorn gerichtet. Wenn man die Last politischer Verantwortung mit Händen greifen könnte, dann in einem Moment wie diesem.

Er hat gekämpft für diesen Traum, fast 30 Jahre lang. Jetzt, da er auf der Zielgeraden ist, beginnt Horst Seehofer zu begreifen, dass der eigentliche Marathon gerade erst beginnt.

Ehrfurcht, Demut, Zweifel? Man hat dem Bundesagrarminister aus Ingolstadt ja vieles nachgesagt in den letzten Jahren. Dass er ein Hasardeur sei, ein selbstverliebter und eitler Einzelkämpfer, einer, der seines Egos wegen sogar sein Parteibuch verkaufen würde. Der künftige Vorsitzende und Ministerpräsident ist nicht sonderlich beliebt auf der Kaviaretage der CSU. „So gut wie jeder hat mit ihm eine Rechnung offen“, behauptet ein Parteipräside. Das mag damit zusammenhängen, dass Seehofer von Geburt an dem Verein für deutliche Aussprache angehört. „Für mich kommt die Loyalität gegenüber der Bevölkerung an erster Stelle, erst dann kommt die Loyalität gegenüber den Grundsätzen der CSU“, hatte der damalige Fraktionsvize 2004 gesagt, als er aus Protest gegen die Gesundheitsreform der Union sein Amt zurückgab. Damals erklärte sich Seehofer selbst für „politisch tot“. Nur ein Jahr später saß er als Bundesminister im neuen Kabinett von Merkel, deren CDU er gerne als „Nickerclub“ verspottet.
Sein ganzes Leben ist eine Auferstehung: Bis aufs Blut bekämpft die deutsche Ärzteschaft ab 1992 den juvenilen Bundesgesundheitsminister, doch Seehofer tritt aus der verlorenen Schlacht als strahlender Reformer hervor. Mit dem Machtwechsel 1998 verliert er sein Amt, profiliert sich aber schnell auf den Oppositionsbänken. Drei Jahre später der bislang gefährlichste Rückschlag: Nach einer verschleppten Grippe erleidet Seehofer einen Zusammenbruch, kommt mit einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus. Monate vergehen, bis er wieder arbeiten kann. Die Krankheit ist auskuriert, seine Sucht nach Einfluss und Geltung nicht. 2003 überwirft sich Seehofer erst mit Edmund Stoiber und dessen Basta-Politik („Bei mir geht es nicht nach Befehl und Gehorsam“), im Jahr später dann mit Merkel. Wie häufig in seinem politischen Leben zieht er sich zurück, kapselt sich ab, ist wochenlang für niemanden zu sprechen. Als Seehofer 2005 vorübergehend den Vorsitz des Sozialverbands VdK in Bayern übernimmt, der allein im Freistaat mehr als eine halbe Million Mitglieder hat, schrillen bei der CSU die Alarmglocken: Stoiber fürchtet, Seehofer könnte der Union in seiner neuen Funktion die Hölle heiß machen und eine soziale Gegenbewegung gründen. Der Raufbold wird ruhiggestellt, bekommt wieder ein Ministeramt.

„Ich bin dankbar, dass mir der Herrgott Steherqualitäten gegeben hat“, sagt Seehofer, als er sich im September 2007 auf dem Parteitag um den CSU-Vorsitz bewirbt. Seit Wochen wird er von Boulevardjournalisten und Fotografen verfolgt, die sich für das uneheliche Kind interessieren und die Affäre mit einer jüngeren Juristin. Der vierfache Vater aus Ingolstadt nimmt sich viel Zeit zur Ordnung seines Privatlebens, zu viel Zeit. Über Monate war er der Umfragekönig, jetzt stürzt er ab. Als hätte er nicht schon genug Probleme, teilt Seehofer dann auch noch einem Reporter mit, er habe „viel Material“ über die Umtriebe prominenter Parteifreunde. Die Quittung folgt: Seehofer bleibt unter 40 Prozent, sein Kontrahent Huber wird auf dem Parteitag mit 58 Prozent zum neuen CSU-Vorsitzenden gewählt.

Was er von Günther Beckstein und Erwin Huber und ihrem Tandem hält, sagt er den beiden direkt ins Gesicht. „Es tut mir leid, aber Ihr könnt es einfach nicht.“ Auch diese Szene spielt in einer Lobby. Der Rivale sitzt fest im Sessel, die Doppelspitze versinkt in einem Ledersofa. Wenn es darum geht, seine Meinung zu sagen oder seinen Standpunkt zu wechseln, ist kein anderer in der Union so kühn wie Seehofer. Im Volk und an der Basis mag diese Eigenschaft populär sein. Mal ist er gegen die Kopfpauschale, mal dafür, mal ist er gegen Gentechnik, mal dafür - die Bürger in Bayern nehmen ihm das scheinbar nicht übel. Im Gegenteil: In Umfragen genießt der Quertreiber höchste Glaubwürdigkeit. In einem hierarchischen und harmoniesüchtigen Funktionärsapparat aber schafft man sich mit solchen Volten keine Freunde.

Wenn diesmal alles nach Plan laufen sollte in dieser planlosen Partei, wird der künftige CSU-Chef heute zum designierten Ministerpräsidenten gekürt. Ausgerechnet von einer Landtagsfraktion, die den Bundespolitiker nie hatte leiden können, und über die er sich nur selten wohlwollend geäußert hat. Beiden bleibt keine andere Wahl: Nach der Demontage der CSU ist Seehofer der einzige Hoffnungsträger weit und breit.

Ursprünglich hatte Seehofer in Berlin bleiben wollen, mit Blick auf die Wahl 2009 schielte er schon wieder auf sein geliebtes Bundesgesundheitsministerium. Jetzt tritt er die Nachfolge seines Ziehvaters Franz Josef Strauß an, übernimmt die Spitzenämter in Partei und Staat in einem der schwierigsten Momente in der Geschichte der CSU.

Zum ersten Mal in seiner politischen Karriere habe er „leichten Bammel“ vor der Größe einer Aufgabe, sagt Seehofer am Dienstag, dem Vorabend der entscheidenden Sitzung der Landtagsfraktion. Die Partei sei verunsichert und gespalten, die Erwartungen an ihn allzu hoch, bekennt er im kleinen Kreis. Er sei sich nicht sicher, ob er sie werde erfüllen können.
Horst Seehofer ist sich bewusst, woran er gemessen wird: An der jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte der CSU – und an seinen eigenen Worten. Er selbst hatte noch vor einem Jahr damit geprahlt, bei der Landtagswahl seien 60 Prozent drin. Mehr als 50 Prozent müssten es aber auf jeden Fall sein, damit ein Ministerpräsident und ein Parteichef ihre Ämter wirklich verdient hätten. Diese Worte, das weiß Seehofer, richten sich jetzt an ihn selbst.

Linke Tasche, rechte Tasche


Man könnte meinen, das Christkind stehe schon vor der Tür. Die SPD spricht von „deutlichen Entlastungen“ für die Bürger, die Union von „einem guten Tag für die Steuerzahler“. Mehr Geld für Familien und Kinder, für Arbeitnehmer und Arbeitslose – die Große Koalition gibt sich großzügig. Wenn es für eine Steuerreform und eine grundlegende Entlastung schon nicht gereicht hat, will die Bundesregierung vor dem Superwahljahr 2009 wenigstens ein paar kleine Geschenke verteilen. Doch leider erweist sich das vermeintliche Wellness-Paket als mittelmäßige Mogelpackung.

Im Prinzip bleibt es bei der bewährten Merkel-Methode „Linke Tasche, rechte Tasche“: Die von der Union so vollmundig angepriesene Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge gilt nur vorübergehend und wird durch die steigenden Krankenkassenbeiträge wieder aufgefressen. Augenwischerei ist da der Hinweis der Regierung, man werde ab 2010 den Bürgern mehr als 9 Milliarden Euro zurückgeben und die Kassenbeiträge steuerlich absetzbar machen. Der Vollständigkeit halber: Es ist das Bundesverfassungsgericht, das den Staat zu diesem Schritt zwingt. Auch das höhere Kindergeld und der höhere Kinderfreibetrag sind keine Großtaten der Koalition, sondern im Grundgesetz verbürgte Pflichtleistungen, um die der Staat nun nicht mehr umhin kommt.

Wer jetzt so zu tut, als handle es sich bei dieser Minimalentlastung um ein politisches Gesamtkunstwerk, will die Wähler für dumm verkaufen. Schlimmer noch: Weil sie die Bankkunden nicht verschrecken will, verschweigt die Regierung, welch gigantische Risiken im Zuge der internationalen Finanzkrise noch auf den Staatshaushalt zurollen. Kein Minister wollte sich bisher dazu äußern, was die Krise für Konjunktur und Arbeitsmarkt konkret bedeutet. Wenn nur annähernd eintritt, was seine Experten befürchten, wird Weihnachten für den Finanzminister ausfallen.

Freitag, 3. Oktober 2008

Angela allein zu Haus

Wenn am Sonntag im Kanzleramt die Spitze der Großen Koalition zusammenkommt, wird es einsam um Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin ist derzeit die einzige Parteichefin in der gesamten Regierungsrunde. Die SPD schickt einen Mann von Morgen: Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier vertritt als kommissarischer Chef den neuen alten Vorsitzenden Franz Müntefering. Die CSU lässt sich vertreten durch ein Gesicht von Gestern: Zum letzten Mal ist der geschasste Ex-Parteichef Erwin Huber an Bord, ab November übernimmt Horst Seehofer die Geschäfte.

Auch wenn sich die Regierungsmannschaft an diesem Wochenende ein letztes Mal bemühen wird, ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen – mit den Sonderparteitagen von SPD (18. Oktober) und CSU (25. Oktober) beginnt der Wahlkampf. Die zur Regionalpartei geschrumpfte Seehofer-CSU wird mit heftigen Attacken auf den Koalitionspartner und auch auf die Kanzlerin versuchen, in der Bundespolitik Profil zu gewinnen. Gleiches gilt für das Duo Müntefering/Steinmeier. Das Waterloo der CSU und der folgende Strategiestreit in der CDU haben der geschwächten SPD eine dringend nötige Atempause verschafft. Müntefering ist erfahren genug, er wird die Unruhe in der Union zu nutzen wissen.

Mittwoch, 1. Oktober 2008

Horst und das Himmelfahrtskommando

Die CSU hat einen neuen Vorsitzenden, eine Perspektive für die Zukunft aber hat sie damit noch lange nicht. Horst Seehofer übernimmt eine zutiefst verunsicherte Partei in ihrer schwersten Stunde. Wird ihm, dem Solisten und Sozialapostel, gelingen, woran Beckstein, Huber und Stoiber scheiterten?

Dass er die Gabe hat, mit eigenwilligen Entscheidungen für Krawall zu sorgen, ist hinreichend bekannt. Ob Seehofer auch die Kraft besitzt, die zerstrittene CSU wieder zu einen, sie personell und programmatisch zu erneuern, ihre bundespolitische Rolle neu zu definieren, dies alles wird er noch beweisen müssen. Gewiss, der Mann ist im Volk beliebt - schon das unterscheidet ihn von seinem Vorgänger. Doch für einen Neuanfang steht der 59-jährige Oberbayer nur bedingt. Seehofer ist sich bewusst, dass die Erwartungen an ihn hoch sind, zu hoch, und dass seine Basis in der CSU-Fraktion schmal ist, vielleicht zu schmal, deshalb zögert der Bundespolitiker noch mit dem Griff nach dem Ministerpräsidentenamt.

Es ist auch so schon ein Himmelfahrtskommando: Gelingt es Seehofer nicht, die CSU in kurzer Zeit zu stabilisieren, wird er dasselbe Schicksal erleiden wie Huber. In einem halben Jahr ist Europa-, in einem Jahr Bundestagswahl. Dann muss sich Seehofer an seinen eigenen Maßstäben messen lassen. Wie sagte er doch vor der Landtagswahl? Nur bei "50 plus x" hat die neue CSU-Spitze eine "eigene Legitimation".

Montag, 29. September 2008

Die CSU im freien Fall

Es wird wohl noch ein paar Wochen dauern, bis die CSU wirklich begriffen hat, was geschehen ist. Was es bedeutet, innerhalb eines Tages als "erfolgreichste Volkspartei Europas" auf die Größe eines gewöhnlichen Landesverbands geschrumpft zu werden. In der Politik zählen allein Ergebnisse, und gemessen an den Zahlen vom Sonntag ist die CSU bundesweit nur noch Nummer 4 - hinter der CDU im Saarland, hinter Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Während Stoiber auf dem Zenit seiner Macht heute mit dem Kreml telefonierte und morgen mit dem Elysée-Palast, dürfte sich der internationale Anspruch der CSU künftig auf den Abflugbereich des Münchner Flughafens beschränken. Bei der EU-Wahl 2009, die ausgerechnet in den Pfingstferien stattfindet, fürchtet die CSU das nächste Fiasko: die Vertreibung aus dem Europaparlament. Bayern, das mehr Einwohner hat als Griechenland oder Belgien, profitierte über Jahrzehnte von einer einflussreichen Interessenvertretung in Brüssel. Nun droht auch hier der Sturz in die Bedeutungslosigkeit.

Die einzige Rettung ist die Bundestagswahl: Nur wenn die CSU im September 2009 ihre einstige 50-Prozent-Marke erreicht, könnte es ihr gelingen, bundespolitischen Einfluss zurückzugewinnen. Die Chancen stehen allerdings denkbar schlecht: Traditionell schneidet die CSU im Bund immer schlechter ab als bei Landtagswahlen. Nach ihrem Waterloo hat die CSU in der Koalitionsrunde kaum noch Gewicht - egal ob Huber oder Seehofer die Geschäfte führt. Auf Merkels Regierungspolitik wie auf das gemeinsame Wahlprogramm der Union kann die CSU als Regionalpartei nur noch bedingt einwirken. Die angeschlagene Führungsriege wird sich bemühen, den verlorengegangenen Einfluss durch starke Sprüche und lautes Gepolter auszugleichen. Diese Krawall-Strategie ist schon bei der Landtagswahl nicht aufgegangen.

Sonntag, 28. September 2008

Merkels schwarzer September

Es ist ein schwarzer September für Angela Merkel: Die Kanzlerin hatte es sich gemütlich eingerichtet zwischen einer handzahmen CSU und einer zerstrittenen SPD. Drei Jahre ließ es sich komfortabel regieren. Mit der Kampfansage von Müntefering und Steinmeier jedoch bekommt es die CDU-Vorsitzende mit gefährlichen Gegnern zu tun. Die Krise der SPD hat lange überdeckt, dass sich die Union in keinem besseren Zustand befindet: Zwar sonnt sich die Kanzlerin in glänzenden Umfragewerten, doch im Kreise ihrer egozentrischen Ministerpräsidenten wirkt sie isoliert. Die Große Koalition wird in der CDU nur noch als große Demütigung empfunden, Wirtschafts- und Sozialpolitiker streiten erbittert über den Kurs.

Nun zerlegt sich ein Jahr vor der Bundestagswahl auch noch die CSU. Mit Wahlergebnissen von über 50 Prozent galten die Christsozialen stets als stabiler Pfeiler der Union. Zudem bedienten Strauß und Stoiber die konservative Klientel, weit über Bayerns Grenzen hinaus. Ihre Nachfolger haben die Stammwählerschaft systematisch vergrault. Da die CSU seit den 80-er Jahren in Bayern immer besser abgeschnitten hat als bei darauffolgenden Bundestagswahlen, kann sich Merkel ausrechnen, was der gestrige Tag für die Bundestagswahl bedeutet. Ohne eine CSU-Mehrheit in Bayern ist das Ziel einer schwarz-gelben Koalition 2009 unerreichbar.

Die Union wird in den nächsten Monaten um die Grünen buhlen, weil sich sonst keine Machtoption mehr bietet. Jetzt rächt sich, dass die Parteichefs Merkel und Huber nach ihrer Wahlschlappe 2005 jede Diskussion abwürgten. Es gilt der Satz von Franz Josef Strauß: Eine Wahlniederlage, aus der keine Konsequenzen gezogen werden, ist der sicherste Weg zur nächsten Niederlage.

Freitag, 26. September 2008

RAF 2.0 oder: Der Terror ist zurück

Terrorismus in Deutschland, das ist großes Kino. Vor wenigen Tagen feierte „Der Baader-Meinhof-Komplex“ Premiere – eine bombastische Revue über die RAF. 30 Jahre lang hielt die Terrorgruppe mit Bombenattentaten, Mordanschlägen und Geiselnahmen die Republik in Atem. Die Erinnerung verblasst, für jüngere Generationen ist der blutige Terror nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern – oder Stoff für bunte Thriller.

Der Zufall will es, dass diese Woche, parallel zur Kinowerbung, seit langer Zeit wieder rotweiße Fahndungsplakate geklebt werden – herausgegeben vom Bundeskriminalamt, Abteilung Terrorismus. Gesucht wird nach jungen radikalen Islamisten, die im Verdacht stehen, verheerende Anschläge verüben zu wollen. Immer öfter tauchen auf den Fahndungslisten auch deutsche Namen auf. Zu lange haben sich die Behörden ausschließlich auf Immigranten konzentriert, jetzt stellt sich heraus: Die Täter heißen Ziad und Mohammed, aber auch Eric und Fritz. Gezielt werben radikale Islamisten um junge Deutsche – offenbar mit Erfolg. Damit erreicht die Bedrohung eine völlig neue Dimension.

Bisher sucht die Gesellschaft noch nach einer Erklärung dafür, wie es sein kann, dass Jugendliche aus bürgerlichen Familien innerhalb kürzester Zeit zu Extremisten werden. Es gibt keine schnellen Antworten, vor allem nicht in einem Land, das sich über die Fehlbuchung einer Staatsbank von 300 Millionen Euro mehr ereifern kann als über den sozialen Abstieg ganzer Gesellschaftsgruppen.

In den letzten Jahren ist es den deutschen Behörden gelungen, eine ganze Reihe von Anschlägen zu verhindern, zum Teil in letzter Minute. Meist war es die Professionalität der Polizei, manchmal auch nur verdammt viel Glück, wie im Fall der Kofferbomber. So erfreulich sie sind: Leider erzeugen die Erfolgsmeldungen ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Die Gefahr von Anschlägen wird unterschätzt. Terrorismus in Deutschland, das ist kein Kinofilm, sondern eine ernste Bedrohung.

Nachhilfe für die Wallstreet


Hinterher sind alle klüger, vorallem wir im alten Europa.
Nach dem Zusammenbruch amerikanischer Investmentbanken hat die Bundeskanzlerin der US-Regierung Nachhilfe in Bürokratie-Aufbau angeboten. "Regulierung" heißt das Zauberwort. Klingt nach Zahnspange, hat im übertragenen Sinne aber mehr mit Daumen- statt mit Gaumenschrauben zu tun. Regeln braucht die moderne Welt, meint Merkel, damit böse Finanzspekulanten an der Wallstreet nicht weiter mit Milliarden jonglieren, die ihnen gar nicht gehören.
Deutschland hat eigentlich schon genug Exportschlager - Autos, Kriegswaffen, Kinderschokolade - aber warum sollen unsere verbeamteten Büroklammern in zahllosen Bundesministerien künftig nicht auch ein paar Paragrafen exportieren - wir haben ja genug davon. Die Frage ist nur, ob ausgerechnet Amerika der geeignete Markt ist? Kein Land der Welt - nicht einmal Singapur oder die Schweiz - quält seine Bürger so systematisch mit Rechtsverordungen und Ausführungsbestimmungen und Verbotsregeln wie das Land der unbegrenzten .... ja was eigentlich.... Möglichkeiten? Das erste, was ich in den USA gelernt habe, war: "Always follow the rules!" Nie links aus einem Taxi steigen! Nie ohne Badekappe ins Schwimmbad gehen oder oben ohne an den Strand! Nie mit Schuhen durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen rennen! Oder mit einer Flasche Bier über die Straße! Never! Auf einem einzigen Quadratkilometer Amerika stehen mehr Verbotsschilder als in ganz Singapur, und das will was heißen. Nur die Wallstreet, die scheint noch regelfreie Zone zu sein. Wobei schon eine Ecke weiter der Wahnsinn beginnt: Das Bild zeigt einen umzäunten Fahnenmast in Lower Manhattan. Für alle New Yorker, die sich mit ihrer Familie in dem fest verschlossenen 11-Quadtratmeter-Gehege zu einem gemütlichen Barbecue versammeln wollen, ist zu beachten: "Park closes at 1:00 AM". Gute Nacht.

Donnerstag, 25. September 2008

Verhängnisvoller Seitensprung

Kurz vor der Landtagswahl streiten CSU und SPD über die Haltung zur Linkspartei. Beide Parteien kämpfen mit immer härteren Bandagen – und bezichtigen sich gegenseitig der Lüge.

„Ich wünsche mir, wir hätten ein hessisches Wahlergebnis.“ Dieser Satz, sagt Ludwig Stiegler, sei als „heitere Nummer“ gedacht gewesen – als launiger Hinweis auf die stolzen 36 Prozent, die Hessens SPD im Januar erreicht hat. Die CSU nahm das Zitat des bayerischen SPD-Vorsitzenden dankbar entgegen und reagierte sofort. Per Pressemitteilung keilte CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer gegen die Sozialdemokraten: „Stiegler überführt Maget der Wahllüge. Der Chef der Bayern-SPD lässt die Maske fallen und wünscht sich öffentlich eine Machtübernahme mit Hilfe der Linkspartei auch in Bayern. Auch Maget würde keine Sekunde zögern, Bayerns Ypsilanti zu werden“, kritisierte die CSU-Politikerin.

Die SPD schäumt. „Wer diese Behauptung in den Raum stellt, muss Erwin Huber heißen oder gerade erst aus der Gummizelle entlassen worden sein“, protestiert Florian Pronold. Die CSU verbreite gezielt Lügen, sagt der SPD-Landesgruppenchef. Tatsächlich hatten Spitzenkandidat Maget und Landeschef Stiegler bei ihrer Pressekonferenz am Mittwoch in München mehrfach eine Kooperation mit der Linkspartei kategorisch ausgeschlossen. „Jede Stimme an die ist verschwendet“, hatte Stiegler erklärt und einem Linksbündnis eine Absage erteilt: „Wir sind keine Seitenspringer.“ Anschließend fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu, die Bayern-SPD sei ja schon zufrieden, wenn sie mehr als 20 Prozent erreiche, von höheren Werten könne man nur träumen. „Ich wünsche mir, wir hätten ein hessisches Wahlergebnis.“

Während die meisten Medien die doppeldeutige Äußerung nicht erwähnenswert fanden, meldete eine nationale Nachrichtenagentur: „Bayerische SPD-Politiker schließen Linksbündnis nicht mehr aus“. CSU-Strategen lachten sich ins Fäustchen, denn ihre Rechnung war aufgegangen. Die innerparteilich unter Druck geratene Generalin Haderthauer bemüht sich, jede Chance zu nutzen, die SPD zu attackieren – selbst um den Preis, ein Zitat aus dem Zusammenhang zu reißen. „Das ist ein echter Hammer, gerade mir so etwas zu unterstellen“, ereifert sich Stiegler. „Eine echte Hinterfotzigkeit.“

Die CSU sieht sich im Recht und antwortet mit einem Hinweis auf Stieglers Stellvertreterin Adelheid Rupp. Die Spitzengenossin wird im Online-Dienst des Magazins „Focus“ mit den Worten zitiert: „Über Koalitionen entscheiden wir frühestens am Wahlabend. Ich will nichts einschließen und nichts ausschließen.“ Rupp gilt intern als Befürworterin einer Öffnung der SPD zur Linken. Eine Diskussion, die ihren Parteifreunden in Bayern und Berlin überhaupt nicht gefällt. Pronold: „Jeder, der für fünf Pfennig Verstand hat, weiß, das diese Debatte völlig unsinnig ist.“

In der Berliner SPD-Fraktion und der Parteizentrale verfolgt man die Wirren des bayerischen Wahlkampfes mit Kopfschütteln. „Es wäre absolut tödlich, jetzt den Beck zu machen“, meint ein Obersozi in Anspielung auf den glücklosen Ex-Vorsitzenden. Kurt Beck hatte im Februar 2008 sechs Tage vor der Hamburg-Wahl in kleiner Runde vor Journalisten über die Möglichkeit spekuliert, Andrea Ypsilanti in Hessen mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Diese Kehrtwende brachte ihm und Ypsilanti den Vorwurf des Wortbruchs ein.
Wie bei der CSU so häufen sich im Wahlkampfendspurt auch in der SPD die Pannen. Als der designierte Parteichef Franz Müntefering dieser Tage zu einer Kundgebung nach Weiden (Oberpfalz) kam, musste er feststellen, dass neben den Straßen noch die alten Beck-Schilder hingen. Statt neue Plakate anzubringen, hatte die SPD den Slogan „Kurt Beck kommt“ nur notdürftig mit gelben Stickern überklebt: „Müntefering kommt!“

Bayern bebt, Berlin bangt

Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier blicken gespannt nach Bayern: Die Landtagswahl gilt als wichtiger Stimmungstest für das Superwahljahr 2009.

Die Parteizentralen haben das Bier bereits bestellt. Im Willy-Brandt-Haus würde der SPD-Generalsekretär punkt 18 Uhr am liebsten einen Überraschungscoup der Sozis verkünden. Auch die CDU richtet sich im Adenauer-Haus auf einen fröhlichen Sonntagabend ein - obwohl die Umfragen kaum Anlass geben zu Partylaune. Für Union und SPD könnte der 28. September schmerzlich enden.

In der Großen Koalition gilt die Landtagswahl als "Lackmustest" für 2009 - das Jahr der Bundestags-, Europa- und Bundespräsidentenwahl. Vom Wahlausgang in Bayern hängt ab, ob Union und FDP ihre hauchdünne Mehrheit in der Bundesversammlung behalten. Das Gremium wählt im Mai 2009 den Präsidenten.

Noch entscheidender ist die Bundestagswahl im Herbst: 2005 hatten CDU-Chefin Merkel vor allem die Stimmen aus Bayern ins Amt verholfen. Bröckelt die Mehrheit der CSU im Freistaat, gerät Merkels Machtbasis ins Wanken. Die SPD hingegen hofft nach ihrem Führungswechsel auf eine Trendwende: Kanzlerkandidat Steinmeier und der designierte Parteichef Müntefering haben mit Auftritten in Bayern versucht, den labilen Landesverband zu unterstützen. Es war die Feuertaufe für das neue Führungsduo. Deshalb ist ein Erfolg in Bayern für die SPD-Spitze mindestens so wichtig wie für die Bundeskanzlerin.

Für den Fall, dass die CSU wie in jüngsten Umfragen prognostiziert unter die 50-Prozent-Marke rutscht, stehen besonders der Union unruhige Wochen bevor. Die parteiinterne Debatte über personelle Konsequenzen hat bereits begonnen. Ein Wechsel im Parteivorsitz käme der Kanzlerin nicht gelegen, denn mit dem loyalen Landesfinanzminister Erwin Huber kommt sie besser aus als mit dem unbequemen Bundesagrarminister Horst Seehofer, der in Berlin am Kabinettstisch sitzt.

Im Falle einer Wahlschlappe drohen der Union zudem eine heftige Strategiedebatte und ein harter Postenpoker. Schon jetzt werden in der CSU Klagen laut, die Kanzlerin habe den Christsozialen durch ihre Verweigerungshaltung bei der Pendlerpauschale massiv geschadet. In Berliner Parteikreisen kursiert zudem die kühne These, Merkel setze auf eine Niederlage der CSU, um endlich deren Sonderstellung im Bundestag beenden zu können. Die Bayern genießen in der gemeinsamen CDU/CSU-Fraktion umstrittene Privilegien - sie haben einen eigenen Arbeitsstab im Parlament, einen einflussreichen Landesgruppenvorsitzenden mit Sitz im Koalitionsausschuss, einen eigenen Geschäftsführer, sogar ein Vetorecht. Vielen CDU-Leuten ist dies ein Dorn im Auge. Bisher konnte die CSU ihre Sonderrolle in Berlin verteidigen, indem sie auf glänzende Wahlergebnisse in Bayern verwies, auf ihren Nimbus als "erfolgreichste Partei Europas". Doch mit "50 minus x" wäre die CSU plötzlich eine ganz normale Partei, auch in Berlin.

Montag, 22. September 2008

Beck gegen Müntefering: Breitseiten eines Gescheiterten

Der Aufschwung war nur von kurzer Dauer. Zwei Wochen nach dem überraschenden Führungswechsel stellt die SPD wieder einmal unter Beweis, dass sie in der deutschen Parteiengeschichte so ziemlich einmalig ist – zumindest, was das Verheizen ihrer Vorsitzenden betrifft. Der zurück nach Mainz geflüchtete Ex-Parteichef Kurt Beck nutzt die Veröffentlichung seiner Memoiren, um erneut mit seinem Nachfolger und Vorgänger Franz Müntefering abzurechnen. Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist das Ziel seiner Attacke.

Becks Breitseiten (der spannende Titel der Autobiografie: "Ein Sozialdemokrat") sind ein weiterer Beleg für die tiefe Zerrissenheit der SPD-Spitze. Und sie lassen erahnen, was auf Müntefering noch alles zukommen wird. Der neue Parteichef ist offiziell noch gar nicht im Amt, da feuern SPD-Linke schon aus allen Rohren. Auch Beck wird nicht ruhen, solange sein Rivale die Partei führt. Wenn Beck beteuert, er fühle sich allein dem „Erfolg der SPD“ verpflichtet und dem „Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft“, sind das leichtfertige Lippenbekenntnisse eines Gescheiterten.

Auch seine mit Hilfe der "Bild"-Zeitung verbreiteten Verschwörungstheorien verfangen nicht: Ex-Kanzler Schröder habe ihn mit „gezielten Angriffen“ an die Wand gespielt, behauptet Beck. Wahr ist wohl eher, dass Beck sich nach einer Serie schwerer strategischer Fehlern selbst ins Abseits gestellt hat. Am Ende hatte er keine andere Wahl als zurückzutreten. Mit seiner Anklage stilisiert sich Beck zum Opfer eines Putsches und erweckt den Eindruck, Schröder ziehe im Hintergrund noch immer die Fäden, Müntefering und Steinmeier seien nur Marionetten des Altkanzlers. Ein Verdacht, dessen bloße Existenz dem SPD-Kanzlerkandidaten zum Verhängnis werden kann.

Freitag, 19. September 2008

Morgen ist Weltkindergeldtag

Die gute Nachricht zuerst: 250.000 Kinder in einkommenschwachen Familien – mehr als doppelt soviele wie bisher – werden künftig den Kinderzuschlag erhalten. Der Bundesrat hat den Weg frei gemacht für den Ausbau der staatlichen Familienförderung. Der Zufall will es, dass diese Nachricht mit dem Weltkindertag am 20. September zusammenfällt. Das ist aber auch das Einzige, was Familienpolitiker in diesem Land noch dem Zufall überlassen.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl wetteifern Union und SPD um die Gunst der Familien. Mit der populären Familienministerin Ursula von der Leyen ist es der CDU gelungen, die Sozialdemokraten in den Schatten zu stellen. Um sich als Familienparteien zu profilieren, überbieten sich die Koalitionäre nun mit immer neuen Vorschlägen. Doch von den vollmundigen Versprechen bleiben am Ende nur klägliche Almosen über.

Der neue Zuschlag für die ärmsten Familien ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein, eine Sofortmaßnahme, eine Umschichtung, die nicht geeignet ist, Familien aus Notlagen zu befreien. Es gilt das Prinzip "linke Tasche, rechte Tasche": Was der Bund künftig zusätzlich für die Kinder arbeitender Eltern ausgibt, sparen die Kommunen wieder ein, weil diese Familien dann in der Regel keine Sozialhilfe mehr beantragen können.

Und jetzt die schlechte Nachricht: Bereits jedes sechste Kind in Deutschland wächst in Familien auf, die in Armut leben oder akut von Armut bedroht sind. Dennoch wurden Kindergeld und Kinderfreibetrag seit sechs Jahren nicht mehr an die Preisentwicklung angepasst. Die Koalition feilscht hinter verschlossenen Türen um jeden Euro, zeigt sich in Sonntagsreden aber spendabel – als gehe es um Wahlgeschenke. Wie oft muss das Verfassungsgericht noch darauf hinweisen, dass Familien Anspruch haben auf angemessene Unterstützung des Staates?

Mittwoch, 17. September 2008

Countdown für die Koalition

Wir waren, wir haben, wir hatten... Die Reden dieser Regierung werden nur noch in der Vergangenheitsform geschrieben. "Es war einmal eine Große Koalition", lautet der Titel des letzten Kapitels. Die Generaldebatte heute im Bundestag ist der beste Beleg für den desolaten Zustand dieser Zwangsehe. Union und SPD übertrafen sich in der Überzeichnung des Geleisteten. Es ist sicher richtig: Diese Koalition hat mehr bewirkt als ihr vor drei Jahren zugetraut wurde. Doch im vierten Jahr droht der Stillstand. Wenn Merkel und ihre Mannschaft sich tatsächlich dazu entschlossen haben, die Wahlperiode mit Anstand zu Ende zu bringen, müssen sie dem Volk nun auch verbindlich erklären, was sie noch zu leisten imstande sind. Die Haushaltsdebatte im Bundestag wäre die beste Gelegenheit gewesen. Die Koalition hat sie verpasst, wie so viele Gelegenheiten zuvor.

Wer bereits heute den Beginn des Wahlkampfes erwartet hatte, sah sich getäuscht: Bis auf einige harmlose Sticheleien wahrten Union und SPD die Koalitionsdisziplin. Regierungschefin Merkel nahm die Erschütterungen an den Finanzmärkten zum Anlass, um sich als international operierende Krisenmanagerin zu profilieren. Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und der künftige SPD-Chef Franz Müntefering griffen bewusst nicht direkt in die Debatte ein. Stattdessen attackierten führende Sozialdemokraten die Linkspartei – so entschlossen wie lange nicht. Es scheint, als beginne die SPD zu begreifen, dass Oskar Lafontaine langfristig gesehen der gefährlichere Gegner ist als Angela Merkel.

Dienstag, 16. September 2008

Na dann Prost: Der Pannen-Wahlkampf der CSU

Eigentlich ist der CSU überhaupt nicht zum Feiern zumute. Aber es ist ein Pflichttermin, und so wird Bayerns CSU-Ministerpräsident Günther Beckstein morgen nach Berlin reisen und am Alexanderplatz das Hauptstadt-Oktoberfest eröffnen. Die Kanzlerin hat sich angekündigt, der Vizekanzler ebenfalls. Die restlichen Tischreihen sind vorwiegend für Abgeordnete reserviert, die bei einer oder zwei Maß Bier über den Ausgang der bayerischen Wahl spekulieren dürfen.

Zwei Maß, dass ist bekanntlich der Füllstand, den der langjährige CSU-Innenminister Beckstein selbst einem gesetzestreuen Autofahrer noch durchaus zutrauen würde. Jedenfalls hat der forsche Franke unlängst in Erding (wo sonst?) erklärt: "Es ist nicht das Problem, wenn einer eine Maß trinkt, oder wenn er ein paar Stunden da ist, auch zwei..." Die unbedarfte Bemerkung ihres Spitzenkandidaten bringt die Bayernpartei zusätzlich in Bedrängnis. Auch ohne den verbalen Alkohol-Exzess: Die CSU ist nicht gerade berauscht von ihrem Erscheinungsbild. Zwei Wochen vor dem Wahlsonntag wächst die Nervosität.

Die Suche nach den und der Schuldigen hat bereits begonnen. Abgeordnete aus Landtag und Bundestag üben massive Kritik an der Münchner CSU-Zentrale und deren Wahlkampfführung. Generalsekretärin Christine Haderthauer muss sich für Pannen und Probleme verantworten. "Unsere Wahlkampagne ist festgefahren. Wir sind nicht in der Lage, auf kurzfristige Stimmungen flexibel zu reagieren", beschwert sich ein Berliner Abgeordneter. In der CSU-Landesgruppe wird allgemein die mangelhafte Mobilisierung beklagt. "Die Thermik fehlt, jetzt droht ein Strömungsabriss", formuliert es ein CSU-Mann in der Fliegersprache.

Bundespolitiker der CSU, die schon bei der Bundestagswahl 2005 unter die magische 50-Prozent-Marke gerutscht war, verfolgen den Endspurt in Bayern mit wachsender Sorge. Die Landtagswahl gilt als Lackmustest für das Superwahljahr 2009. Vor Journalisten widersprach Landesgruppenchef Peter Ramsauer gestern Ministerpräsident Beckstein, der die Große Koalition für mögliche Verluste der CSU in Bayern verantwortlich gemacht hatte. "Wir werden für die Kompromisse, die die Union dort machen muss, in Bayern in Haftung genommen", hatte sich Beckstein beschwert. Ramsauer entgegnete nun, Beckstein sei offenbar falsch verstanden worden. Es handle sich bei seiner Aussage weder um einen Erklärungsversuch, noch um eine vorweggenommene Schuldzuweisung. "Alle entscheidenden Fragen, die in der Großen Koalition beschlossen wurden, sind in den Führungsgremien der CSU abgenickt worden", betonte Ramsauer. "Schon allein deshalb gibt es keine Grundlage dafür, Hinweise auf Berlin zu machen." Den "schwarzen Peter" habe allein die SPD. Durch ihre "Machtkämpfe und Zerfallserscheinungen" werde die Regierungsarbeit belastet.

Die CSU erklärt den Papierkrieg: Haderthauer kündigte an, die Parteizentrale werde ihre Kampagne kurz vor dem Wahltag massiv verstärken - mit Massen-Mails, Annoncen, Flugblättern und Serienbriefen. Als eine wichtige Zielgruppe der CSU nannte sie Senioren. Nach Angaben von Landtagsabgeordneten gab es jedoch ausgerechnet hier bereits die nächste Panne: An Wähler wurden falsche CSU-Briefe verschickt - die angepriesenen Kandidaten stehen in den jeweiligen Stimmkreisen überhaupt nicht zur Wahl.

Unser Peer von der Feuerwehr

Er ist schon ein armer Tropf, der Finanzminister. Als er mit seinen Kabinettskollegen vor wenigen Wochen den Bundeshaushalt aushandelte, war das Wehklagen groß: Die einen attestierten Peer Steinbrück chronischen Geiz, weil er trotz erwarteter Steuermehreinnahmen nicht bereit sei zu mehr Investitionen, und zu einer spürbaren Entlastung der Bürger. Die anderen bezweifelten den Sparwillen der Regierung, weil sie erst im Jahr 2011 auf neue Kredite verzichten will.

Im Rückspiegel wirken diese Debatten fast komisch. Nach dem "Schwarzen Montag" in den USA stellt sich die Frage, ob der heute im Bundestag präsentierte Etat 2009 nicht morgen schon Makulatur ist. Auch wenn Steinbrück versichert, der Wochenbeginn sei in deutschen Geldhäusern "weitgehend stressfrei verlaufen" - noch ist völlig offen, wie sich der Flächenbrand in Amerika auf die europäischen Finanzmärkte, die Steuereinnahmen, die Exporte und den Konsum auswirken wird. Wird auch nur ein Teil der Krisenszenarien Wirklichkeit, können Regierung und Opposition ihre für das Wahljahr 2009 vorbereiteten Geschenklisten getrost in den Schubladen lassen.

Der Finanzminister spricht von einem Abschwung, noch nicht von einer Rezession. Es steht jedoch zu vermuten, dass Steinbrück mehr weiß als er mitzuteilen bereit ist. Da begibt sich der oberste Kassenwart auf eine gefährliche Gratwanderung: Wird es richtig brenzlig auf den Weltmärkten, muss der Bundesfinanzminister die Feuerwehr spielen - und die Risiken konsequent herunterreden, um Wirtschaft und Börsen nur ja nicht weiter zu verunsichern. Auf der anderen Seite kann nur eine offene, ehrliche Einschätzung der Lage die Unternehmen vor falschen Entscheidungen bewahren - und die Politik vor überhöhten Erwartungen der Bürger.

Montag, 15. September 2008

Guidos Spätsommer-Flirt

Guido Westerwelle kann sich noch so laut darüber empören, dass man Kurt Beck „wie einen alten Hund vom Hof gejagt“ habe. Die Krokodilstränen des FDP-Chefs lenken nur von der Tatsache ab, dass ihm der Führungswechsel bei den Sozialdemokraten in Wahrheit gut ins Konzept passt. Wwelle genießt es, wie ihm Steinmeier den Hof macht. Eine pragmatische, wirtschaftsorientierte Steini-Münte-SPD käme für die FDP zehnmal eher als Koalitionspartner in Frage als die unberechenbare, linkslastige Beck-Truppe. Obwohl noch völlig offen ist, welchen Kurs die Sozialdemokraten einschlagen werden, reicht ihnen der FDP-Generalsekretär schon heute die Hand. Er hoffe, dass „Frank und Franz“ (sic!) die SPD „wieder in die Mitte rücken, zu uns“, flötete der FDP-Mann Dirk Niebel in der letzten Woche.

Ernt nehmen muss man solche Annäherungsversuche nicht. Die FDP ist weiter entschlossen, nach der Bundestagswahl 2009 mit der Union eine Regierung zu bilden. Westerwelle will mit seinem Spätsommer-Flirt nur die CDU gefügig machen. Die Sozis scheren ihn wenig. Das wird schon daran deutlich, dass Westerwelle allen Ernstes die neue SPD-Spitze auffordert, deren Kandidatin Gesine Schwan zurückzuziehen und stattdessen CDU-Bundespräsident Horst Köhler zu unterstützen. Auf solche Forderungen wird sich die SPD nie einlassen. Eher würde Franz Müntefering noch zum Papst gewählt.

Ypsitube.com

Ein falscher Franz Müntefering hat bei der echten Andrea Ypsilanti angerufen und der hessischen Herrscherin ein paar peinliche Sätze entlockt. Ohne Verdacht zu schöpfen, plauderte das "Ypsi-Mädsche" (Jargon) munter über ihre bevorstehende Machtergreifung im allgemeinen und die Linke im besonderen. Obwohl die SPD-Juristen und das Radio-Management die Ausstrahlung sofort verbieten ließen, ist jetzt doch eine Kurzversion auf Youtube zu sehen - zwischenzeitlich sogar in 15-facher Ausführung. Der 1'43''-Clip ist offenkundig zensiert und aller pikanten Details beraubt, die in dem insgesamt siebenminütigen Gespräch ausgetauscht wurden - doch für eine beiderseitige Blamage reicht es allemal.

Jetzt fragt sich der naive Nachrichtenmensch natürlich, wie sowas denn überhaupt ins Internet gelangen kann - wo doch der Radiosender die Ausstrahlung unbedingt hatte verhindern wollen? Das zumindest beteuert die Programmdirektorin von "ffn". Die Frage nach der undichten Stelle müsste man tatsächlich stellen, wenn der gesamte Mitschnitt in die Öffentlichkeit gelangt wäre. Ist er aber (leider/noch) nicht. Was die bisher 100.000 Youtube-User zu hören bekamen, war eine sorgfältig frisierte und völlig harm- und belanglose Kurzversion, die dem geneigten Provinz-Publikum lediglich demonstrieren soll, dass ein escht witzischer Radiosendä die Ypschilanti so rischtisch duasch den Kakao gezoge hät. Eine durchaus geglückte PR-Maßnahme, mit deren Hilfe "ffn" die Kosten für den minderbegabten Stimmenimitator locker wieder reinspielt.

Verständlich, dass die SPD stinksauer ist ob der Indiskretion. Die Partei sollte künftig alle Telefonate auf Führungsebene, die seit dem Ende der Stasi nur noch sporadisch aufgezeichnet werden, digitalisiert ins Netz stellen, bevor wieder mal andere auf diese Idee kommen. Die letzte Telefonschalte mit Beck, Steinmeier, Münte, Steinbrück, Nahles und Heil - das wäre ein echter Hörgenuss. Und sollte auf Youtube langsam der Speicherplatz knapp werden: Die Domain "Ypsitube.com" isch noch frei.

Marketing aus der Mottenkiste: Adolf Hitler hilft Helmut Schmidt hilft Oskar Lafontaine

Im Dezember wird Helmut Schmidt 90 Jahre alt. An dieser Stelle sicherheitshalber vorab schon mal herzlichen Glückwunsch - ich kann mir Geburtstage nämlich so schlecht merken. Schmidtchens Gedächtnis scheint besser zu sein, jedenfalls hat der Politprofi im Laufe der Jahre nichts verlernt. Noch im hohen Alter lehrt uns der Mann, wie Marketing funktioniert.

Am Mittwoch dieser Woche stellt der Altkanzler in Berlin sein neues Buch vor - Titel: "Außer Dienst. Eine Bilanz". Damit auch kein Kunde die erste Lesung verpasst, hat Schmidt schon am Wochenende die Windmaschine angeworfen. Obwohl der "Zeit"-Herausgeber von den seichten Springer-Blättern bekanntlich wenig hält, und obwohl er immer wieder bekundet hat, sich nicht in die Tagespolitik einmischen zu wollen, verbreitete sich Schmidt in der "Bild am Sonntag" zur Lage der Nation. Wahrscheinlich hätte das 1345. Altkanzler-Interview niemanden interessiert, wenn der Autor nicht die Nazi-Karte gezogen hätte. Der geneigte Leser weiß: NS-Vergleiche sind zwar meistens grundfalsch und absolut hirnrissig, aber doch auch verkaufsfördernd (siehe Eva Herman). Was also macht Schmidtchen? Er vergleicht die rhetorischen Fähigkeiten des früheren SPD-Vorsitzenden und heutigen Linke-Chefs Oskar Lafontaine mit dem verbalen SSturmgeschütz Adolf Hitler: "Auch Adolf Nazi war ein charismatischer Redner. Oskar Lafontaine ist es auch", sagt Schmidt und schickt noch einen Vergleich mit dem französischen Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen hinterher. Doppelt hält besser.

In der Berliner Aufregungsrepublik geht von nun an alles seinen gewohnten Gang: Oskar freut sich über soviel öffentliches Interesse, hält sich aber mit einem Kommentar vornehm zurück, dafür drischt seine Linke munter auf Helmut Schmidt ein ("alterssenil"), während sich die Münte-Ypsilanti-SPD auf der Suche nach einer Erklärung in einem neuen Richtungsstreit verstrickt. Der Lafo-Streit wird das Land sicher bis Mittwochmittag in Atem halten. Dann darf endlich Schmidt mit seinem neuen Buch in die Kameras winken.

Nach der professionellen Promotion des Bundeskanzlers a.D. ist dem Siedler-Verlag ein gelungener Verkaufsstart garantiert. Wird auch Zeit, dass sich in der "Spiegel"-Bestseller-Liste endlich wieder mal was tut. Zur Zeit auf den ersten Plätzen: "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?", "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" und "Ich bin dann mal weg". Allesamt gute Anregungen für neue Helmut-Schmidt-Werke. Ganz besonders der letzte Titel.