Montag, 29. September 2008

Die CSU im freien Fall

Es wird wohl noch ein paar Wochen dauern, bis die CSU wirklich begriffen hat, was geschehen ist. Was es bedeutet, innerhalb eines Tages als "erfolgreichste Volkspartei Europas" auf die Größe eines gewöhnlichen Landesverbands geschrumpft zu werden. In der Politik zählen allein Ergebnisse, und gemessen an den Zahlen vom Sonntag ist die CSU bundesweit nur noch Nummer 4 - hinter der CDU im Saarland, hinter Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

Während Stoiber auf dem Zenit seiner Macht heute mit dem Kreml telefonierte und morgen mit dem Elysée-Palast, dürfte sich der internationale Anspruch der CSU künftig auf den Abflugbereich des Münchner Flughafens beschränken. Bei der EU-Wahl 2009, die ausgerechnet in den Pfingstferien stattfindet, fürchtet die CSU das nächste Fiasko: die Vertreibung aus dem Europaparlament. Bayern, das mehr Einwohner hat als Griechenland oder Belgien, profitierte über Jahrzehnte von einer einflussreichen Interessenvertretung in Brüssel. Nun droht auch hier der Sturz in die Bedeutungslosigkeit.

Die einzige Rettung ist die Bundestagswahl: Nur wenn die CSU im September 2009 ihre einstige 50-Prozent-Marke erreicht, könnte es ihr gelingen, bundespolitischen Einfluss zurückzugewinnen. Die Chancen stehen allerdings denkbar schlecht: Traditionell schneidet die CSU im Bund immer schlechter ab als bei Landtagswahlen. Nach ihrem Waterloo hat die CSU in der Koalitionsrunde kaum noch Gewicht - egal ob Huber oder Seehofer die Geschäfte führt. Auf Merkels Regierungspolitik wie auf das gemeinsame Wahlprogramm der Union kann die CSU als Regionalpartei nur noch bedingt einwirken. Die angeschlagene Führungsriege wird sich bemühen, den verlorengegangenen Einfluss durch starke Sprüche und lautes Gepolter auszugleichen. Diese Krawall-Strategie ist schon bei der Landtagswahl nicht aufgegangen.

Sonntag, 28. September 2008

Merkels schwarzer September

Es ist ein schwarzer September für Angela Merkel: Die Kanzlerin hatte es sich gemütlich eingerichtet zwischen einer handzahmen CSU und einer zerstrittenen SPD. Drei Jahre ließ es sich komfortabel regieren. Mit der Kampfansage von Müntefering und Steinmeier jedoch bekommt es die CDU-Vorsitzende mit gefährlichen Gegnern zu tun. Die Krise der SPD hat lange überdeckt, dass sich die Union in keinem besseren Zustand befindet: Zwar sonnt sich die Kanzlerin in glänzenden Umfragewerten, doch im Kreise ihrer egozentrischen Ministerpräsidenten wirkt sie isoliert. Die Große Koalition wird in der CDU nur noch als große Demütigung empfunden, Wirtschafts- und Sozialpolitiker streiten erbittert über den Kurs.

Nun zerlegt sich ein Jahr vor der Bundestagswahl auch noch die CSU. Mit Wahlergebnissen von über 50 Prozent galten die Christsozialen stets als stabiler Pfeiler der Union. Zudem bedienten Strauß und Stoiber die konservative Klientel, weit über Bayerns Grenzen hinaus. Ihre Nachfolger haben die Stammwählerschaft systematisch vergrault. Da die CSU seit den 80-er Jahren in Bayern immer besser abgeschnitten hat als bei darauffolgenden Bundestagswahlen, kann sich Merkel ausrechnen, was der gestrige Tag für die Bundestagswahl bedeutet. Ohne eine CSU-Mehrheit in Bayern ist das Ziel einer schwarz-gelben Koalition 2009 unerreichbar.

Die Union wird in den nächsten Monaten um die Grünen buhlen, weil sich sonst keine Machtoption mehr bietet. Jetzt rächt sich, dass die Parteichefs Merkel und Huber nach ihrer Wahlschlappe 2005 jede Diskussion abwürgten. Es gilt der Satz von Franz Josef Strauß: Eine Wahlniederlage, aus der keine Konsequenzen gezogen werden, ist der sicherste Weg zur nächsten Niederlage.

Freitag, 26. September 2008

RAF 2.0 oder: Der Terror ist zurück

Terrorismus in Deutschland, das ist großes Kino. Vor wenigen Tagen feierte „Der Baader-Meinhof-Komplex“ Premiere – eine bombastische Revue über die RAF. 30 Jahre lang hielt die Terrorgruppe mit Bombenattentaten, Mordanschlägen und Geiselnahmen die Republik in Atem. Die Erinnerung verblasst, für jüngere Generationen ist der blutige Terror nur noch eine Fußnote in den Geschichtsbüchern – oder Stoff für bunte Thriller.

Der Zufall will es, dass diese Woche, parallel zur Kinowerbung, seit langer Zeit wieder rotweiße Fahndungsplakate geklebt werden – herausgegeben vom Bundeskriminalamt, Abteilung Terrorismus. Gesucht wird nach jungen radikalen Islamisten, die im Verdacht stehen, verheerende Anschläge verüben zu wollen. Immer öfter tauchen auf den Fahndungslisten auch deutsche Namen auf. Zu lange haben sich die Behörden ausschließlich auf Immigranten konzentriert, jetzt stellt sich heraus: Die Täter heißen Ziad und Mohammed, aber auch Eric und Fritz. Gezielt werben radikale Islamisten um junge Deutsche – offenbar mit Erfolg. Damit erreicht die Bedrohung eine völlig neue Dimension.

Bisher sucht die Gesellschaft noch nach einer Erklärung dafür, wie es sein kann, dass Jugendliche aus bürgerlichen Familien innerhalb kürzester Zeit zu Extremisten werden. Es gibt keine schnellen Antworten, vor allem nicht in einem Land, das sich über die Fehlbuchung einer Staatsbank von 300 Millionen Euro mehr ereifern kann als über den sozialen Abstieg ganzer Gesellschaftsgruppen.

In den letzten Jahren ist es den deutschen Behörden gelungen, eine ganze Reihe von Anschlägen zu verhindern, zum Teil in letzter Minute. Meist war es die Professionalität der Polizei, manchmal auch nur verdammt viel Glück, wie im Fall der Kofferbomber. So erfreulich sie sind: Leider erzeugen die Erfolgsmeldungen ein trügerisches Gefühl der Sicherheit. Die Gefahr von Anschlägen wird unterschätzt. Terrorismus in Deutschland, das ist kein Kinofilm, sondern eine ernste Bedrohung.

Nachhilfe für die Wallstreet


Hinterher sind alle klüger, vorallem wir im alten Europa.
Nach dem Zusammenbruch amerikanischer Investmentbanken hat die Bundeskanzlerin der US-Regierung Nachhilfe in Bürokratie-Aufbau angeboten. "Regulierung" heißt das Zauberwort. Klingt nach Zahnspange, hat im übertragenen Sinne aber mehr mit Daumen- statt mit Gaumenschrauben zu tun. Regeln braucht die moderne Welt, meint Merkel, damit böse Finanzspekulanten an der Wallstreet nicht weiter mit Milliarden jonglieren, die ihnen gar nicht gehören.
Deutschland hat eigentlich schon genug Exportschlager - Autos, Kriegswaffen, Kinderschokolade - aber warum sollen unsere verbeamteten Büroklammern in zahllosen Bundesministerien künftig nicht auch ein paar Paragrafen exportieren - wir haben ja genug davon. Die Frage ist nur, ob ausgerechnet Amerika der geeignete Markt ist? Kein Land der Welt - nicht einmal Singapur oder die Schweiz - quält seine Bürger so systematisch mit Rechtsverordungen und Ausführungsbestimmungen und Verbotsregeln wie das Land der unbegrenzten .... ja was eigentlich.... Möglichkeiten? Das erste, was ich in den USA gelernt habe, war: "Always follow the rules!" Nie links aus einem Taxi steigen! Nie ohne Badekappe ins Schwimmbad gehen oder oben ohne an den Strand! Nie mit Schuhen durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen rennen! Oder mit einer Flasche Bier über die Straße! Never! Auf einem einzigen Quadratkilometer Amerika stehen mehr Verbotsschilder als in ganz Singapur, und das will was heißen. Nur die Wallstreet, die scheint noch regelfreie Zone zu sein. Wobei schon eine Ecke weiter der Wahnsinn beginnt: Das Bild zeigt einen umzäunten Fahnenmast in Lower Manhattan. Für alle New Yorker, die sich mit ihrer Familie in dem fest verschlossenen 11-Quadtratmeter-Gehege zu einem gemütlichen Barbecue versammeln wollen, ist zu beachten: "Park closes at 1:00 AM". Gute Nacht.

Donnerstag, 25. September 2008

Verhängnisvoller Seitensprung

Kurz vor der Landtagswahl streiten CSU und SPD über die Haltung zur Linkspartei. Beide Parteien kämpfen mit immer härteren Bandagen – und bezichtigen sich gegenseitig der Lüge.

„Ich wünsche mir, wir hätten ein hessisches Wahlergebnis.“ Dieser Satz, sagt Ludwig Stiegler, sei als „heitere Nummer“ gedacht gewesen – als launiger Hinweis auf die stolzen 36 Prozent, die Hessens SPD im Januar erreicht hat. Die CSU nahm das Zitat des bayerischen SPD-Vorsitzenden dankbar entgegen und reagierte sofort. Per Pressemitteilung keilte CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer gegen die Sozialdemokraten: „Stiegler überführt Maget der Wahllüge. Der Chef der Bayern-SPD lässt die Maske fallen und wünscht sich öffentlich eine Machtübernahme mit Hilfe der Linkspartei auch in Bayern. Auch Maget würde keine Sekunde zögern, Bayerns Ypsilanti zu werden“, kritisierte die CSU-Politikerin.

Die SPD schäumt. „Wer diese Behauptung in den Raum stellt, muss Erwin Huber heißen oder gerade erst aus der Gummizelle entlassen worden sein“, protestiert Florian Pronold. Die CSU verbreite gezielt Lügen, sagt der SPD-Landesgruppenchef. Tatsächlich hatten Spitzenkandidat Maget und Landeschef Stiegler bei ihrer Pressekonferenz am Mittwoch in München mehrfach eine Kooperation mit der Linkspartei kategorisch ausgeschlossen. „Jede Stimme an die ist verschwendet“, hatte Stiegler erklärt und einem Linksbündnis eine Absage erteilt: „Wir sind keine Seitenspringer.“ Anschließend fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu, die Bayern-SPD sei ja schon zufrieden, wenn sie mehr als 20 Prozent erreiche, von höheren Werten könne man nur träumen. „Ich wünsche mir, wir hätten ein hessisches Wahlergebnis.“

Während die meisten Medien die doppeldeutige Äußerung nicht erwähnenswert fanden, meldete eine nationale Nachrichtenagentur: „Bayerische SPD-Politiker schließen Linksbündnis nicht mehr aus“. CSU-Strategen lachten sich ins Fäustchen, denn ihre Rechnung war aufgegangen. Die innerparteilich unter Druck geratene Generalin Haderthauer bemüht sich, jede Chance zu nutzen, die SPD zu attackieren – selbst um den Preis, ein Zitat aus dem Zusammenhang zu reißen. „Das ist ein echter Hammer, gerade mir so etwas zu unterstellen“, ereifert sich Stiegler. „Eine echte Hinterfotzigkeit.“

Die CSU sieht sich im Recht und antwortet mit einem Hinweis auf Stieglers Stellvertreterin Adelheid Rupp. Die Spitzengenossin wird im Online-Dienst des Magazins „Focus“ mit den Worten zitiert: „Über Koalitionen entscheiden wir frühestens am Wahlabend. Ich will nichts einschließen und nichts ausschließen.“ Rupp gilt intern als Befürworterin einer Öffnung der SPD zur Linken. Eine Diskussion, die ihren Parteifreunden in Bayern und Berlin überhaupt nicht gefällt. Pronold: „Jeder, der für fünf Pfennig Verstand hat, weiß, das diese Debatte völlig unsinnig ist.“

In der Berliner SPD-Fraktion und der Parteizentrale verfolgt man die Wirren des bayerischen Wahlkampfes mit Kopfschütteln. „Es wäre absolut tödlich, jetzt den Beck zu machen“, meint ein Obersozi in Anspielung auf den glücklosen Ex-Vorsitzenden. Kurt Beck hatte im Februar 2008 sechs Tage vor der Hamburg-Wahl in kleiner Runde vor Journalisten über die Möglichkeit spekuliert, Andrea Ypsilanti in Hessen mit den Stimmen der Linken zur Ministerpräsidentin wählen zu lassen. Diese Kehrtwende brachte ihm und Ypsilanti den Vorwurf des Wortbruchs ein.
Wie bei der CSU so häufen sich im Wahlkampfendspurt auch in der SPD die Pannen. Als der designierte Parteichef Franz Müntefering dieser Tage zu einer Kundgebung nach Weiden (Oberpfalz) kam, musste er feststellen, dass neben den Straßen noch die alten Beck-Schilder hingen. Statt neue Plakate anzubringen, hatte die SPD den Slogan „Kurt Beck kommt“ nur notdürftig mit gelben Stickern überklebt: „Müntefering kommt!“

Bayern bebt, Berlin bangt

Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier blicken gespannt nach Bayern: Die Landtagswahl gilt als wichtiger Stimmungstest für das Superwahljahr 2009.

Die Parteizentralen haben das Bier bereits bestellt. Im Willy-Brandt-Haus würde der SPD-Generalsekretär punkt 18 Uhr am liebsten einen Überraschungscoup der Sozis verkünden. Auch die CDU richtet sich im Adenauer-Haus auf einen fröhlichen Sonntagabend ein - obwohl die Umfragen kaum Anlass geben zu Partylaune. Für Union und SPD könnte der 28. September schmerzlich enden.

In der Großen Koalition gilt die Landtagswahl als "Lackmustest" für 2009 - das Jahr der Bundestags-, Europa- und Bundespräsidentenwahl. Vom Wahlausgang in Bayern hängt ab, ob Union und FDP ihre hauchdünne Mehrheit in der Bundesversammlung behalten. Das Gremium wählt im Mai 2009 den Präsidenten.

Noch entscheidender ist die Bundestagswahl im Herbst: 2005 hatten CDU-Chefin Merkel vor allem die Stimmen aus Bayern ins Amt verholfen. Bröckelt die Mehrheit der CSU im Freistaat, gerät Merkels Machtbasis ins Wanken. Die SPD hingegen hofft nach ihrem Führungswechsel auf eine Trendwende: Kanzlerkandidat Steinmeier und der designierte Parteichef Müntefering haben mit Auftritten in Bayern versucht, den labilen Landesverband zu unterstützen. Es war die Feuertaufe für das neue Führungsduo. Deshalb ist ein Erfolg in Bayern für die SPD-Spitze mindestens so wichtig wie für die Bundeskanzlerin.

Für den Fall, dass die CSU wie in jüngsten Umfragen prognostiziert unter die 50-Prozent-Marke rutscht, stehen besonders der Union unruhige Wochen bevor. Die parteiinterne Debatte über personelle Konsequenzen hat bereits begonnen. Ein Wechsel im Parteivorsitz käme der Kanzlerin nicht gelegen, denn mit dem loyalen Landesfinanzminister Erwin Huber kommt sie besser aus als mit dem unbequemen Bundesagrarminister Horst Seehofer, der in Berlin am Kabinettstisch sitzt.

Im Falle einer Wahlschlappe drohen der Union zudem eine heftige Strategiedebatte und ein harter Postenpoker. Schon jetzt werden in der CSU Klagen laut, die Kanzlerin habe den Christsozialen durch ihre Verweigerungshaltung bei der Pendlerpauschale massiv geschadet. In Berliner Parteikreisen kursiert zudem die kühne These, Merkel setze auf eine Niederlage der CSU, um endlich deren Sonderstellung im Bundestag beenden zu können. Die Bayern genießen in der gemeinsamen CDU/CSU-Fraktion umstrittene Privilegien - sie haben einen eigenen Arbeitsstab im Parlament, einen einflussreichen Landesgruppenvorsitzenden mit Sitz im Koalitionsausschuss, einen eigenen Geschäftsführer, sogar ein Vetorecht. Vielen CDU-Leuten ist dies ein Dorn im Auge. Bisher konnte die CSU ihre Sonderrolle in Berlin verteidigen, indem sie auf glänzende Wahlergebnisse in Bayern verwies, auf ihren Nimbus als "erfolgreichste Partei Europas". Doch mit "50 minus x" wäre die CSU plötzlich eine ganz normale Partei, auch in Berlin.

Montag, 22. September 2008

Beck gegen Müntefering: Breitseiten eines Gescheiterten

Der Aufschwung war nur von kurzer Dauer. Zwei Wochen nach dem überraschenden Führungswechsel stellt die SPD wieder einmal unter Beweis, dass sie in der deutschen Parteiengeschichte so ziemlich einmalig ist – zumindest, was das Verheizen ihrer Vorsitzenden betrifft. Der zurück nach Mainz geflüchtete Ex-Parteichef Kurt Beck nutzt die Veröffentlichung seiner Memoiren, um erneut mit seinem Nachfolger und Vorgänger Franz Müntefering abzurechnen. Auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder ist das Ziel seiner Attacke.

Becks Breitseiten (der spannende Titel der Autobiografie: "Ein Sozialdemokrat") sind ein weiterer Beleg für die tiefe Zerrissenheit der SPD-Spitze. Und sie lassen erahnen, was auf Müntefering noch alles zukommen wird. Der neue Parteichef ist offiziell noch gar nicht im Amt, da feuern SPD-Linke schon aus allen Rohren. Auch Beck wird nicht ruhen, solange sein Rivale die Partei führt. Wenn Beck beteuert, er fühle sich allein dem „Erfolg der SPD“ verpflichtet und dem „Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft“, sind das leichtfertige Lippenbekenntnisse eines Gescheiterten.

Auch seine mit Hilfe der "Bild"-Zeitung verbreiteten Verschwörungstheorien verfangen nicht: Ex-Kanzler Schröder habe ihn mit „gezielten Angriffen“ an die Wand gespielt, behauptet Beck. Wahr ist wohl eher, dass Beck sich nach einer Serie schwerer strategischer Fehlern selbst ins Abseits gestellt hat. Am Ende hatte er keine andere Wahl als zurückzutreten. Mit seiner Anklage stilisiert sich Beck zum Opfer eines Putsches und erweckt den Eindruck, Schröder ziehe im Hintergrund noch immer die Fäden, Müntefering und Steinmeier seien nur Marionetten des Altkanzlers. Ein Verdacht, dessen bloße Existenz dem SPD-Kanzlerkandidaten zum Verhängnis werden kann.

Freitag, 19. September 2008

Morgen ist Weltkindergeldtag

Die gute Nachricht zuerst: 250.000 Kinder in einkommenschwachen Familien – mehr als doppelt soviele wie bisher – werden künftig den Kinderzuschlag erhalten. Der Bundesrat hat den Weg frei gemacht für den Ausbau der staatlichen Familienförderung. Der Zufall will es, dass diese Nachricht mit dem Weltkindertag am 20. September zusammenfällt. Das ist aber auch das Einzige, was Familienpolitiker in diesem Land noch dem Zufall überlassen.

Ein Jahr vor der Bundestagswahl wetteifern Union und SPD um die Gunst der Familien. Mit der populären Familienministerin Ursula von der Leyen ist es der CDU gelungen, die Sozialdemokraten in den Schatten zu stellen. Um sich als Familienparteien zu profilieren, überbieten sich die Koalitionäre nun mit immer neuen Vorschlägen. Doch von den vollmundigen Versprechen bleiben am Ende nur klägliche Almosen über.

Der neue Zuschlag für die ärmsten Familien ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein, eine Sofortmaßnahme, eine Umschichtung, die nicht geeignet ist, Familien aus Notlagen zu befreien. Es gilt das Prinzip "linke Tasche, rechte Tasche": Was der Bund künftig zusätzlich für die Kinder arbeitender Eltern ausgibt, sparen die Kommunen wieder ein, weil diese Familien dann in der Regel keine Sozialhilfe mehr beantragen können.

Und jetzt die schlechte Nachricht: Bereits jedes sechste Kind in Deutschland wächst in Familien auf, die in Armut leben oder akut von Armut bedroht sind. Dennoch wurden Kindergeld und Kinderfreibetrag seit sechs Jahren nicht mehr an die Preisentwicklung angepasst. Die Koalition feilscht hinter verschlossenen Türen um jeden Euro, zeigt sich in Sonntagsreden aber spendabel – als gehe es um Wahlgeschenke. Wie oft muss das Verfassungsgericht noch darauf hinweisen, dass Familien Anspruch haben auf angemessene Unterstützung des Staates?

Mittwoch, 17. September 2008

Countdown für die Koalition

Wir waren, wir haben, wir hatten... Die Reden dieser Regierung werden nur noch in der Vergangenheitsform geschrieben. "Es war einmal eine Große Koalition", lautet der Titel des letzten Kapitels. Die Generaldebatte heute im Bundestag ist der beste Beleg für den desolaten Zustand dieser Zwangsehe. Union und SPD übertrafen sich in der Überzeichnung des Geleisteten. Es ist sicher richtig: Diese Koalition hat mehr bewirkt als ihr vor drei Jahren zugetraut wurde. Doch im vierten Jahr droht der Stillstand. Wenn Merkel und ihre Mannschaft sich tatsächlich dazu entschlossen haben, die Wahlperiode mit Anstand zu Ende zu bringen, müssen sie dem Volk nun auch verbindlich erklären, was sie noch zu leisten imstande sind. Die Haushaltsdebatte im Bundestag wäre die beste Gelegenheit gewesen. Die Koalition hat sie verpasst, wie so viele Gelegenheiten zuvor.

Wer bereits heute den Beginn des Wahlkampfes erwartet hatte, sah sich getäuscht: Bis auf einige harmlose Sticheleien wahrten Union und SPD die Koalitionsdisziplin. Regierungschefin Merkel nahm die Erschütterungen an den Finanzmärkten zum Anlass, um sich als international operierende Krisenmanagerin zu profilieren. Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und der künftige SPD-Chef Franz Müntefering griffen bewusst nicht direkt in die Debatte ein. Stattdessen attackierten führende Sozialdemokraten die Linkspartei – so entschlossen wie lange nicht. Es scheint, als beginne die SPD zu begreifen, dass Oskar Lafontaine langfristig gesehen der gefährlichere Gegner ist als Angela Merkel.

Dienstag, 16. September 2008

Na dann Prost: Der Pannen-Wahlkampf der CSU

Eigentlich ist der CSU überhaupt nicht zum Feiern zumute. Aber es ist ein Pflichttermin, und so wird Bayerns CSU-Ministerpräsident Günther Beckstein morgen nach Berlin reisen und am Alexanderplatz das Hauptstadt-Oktoberfest eröffnen. Die Kanzlerin hat sich angekündigt, der Vizekanzler ebenfalls. Die restlichen Tischreihen sind vorwiegend für Abgeordnete reserviert, die bei einer oder zwei Maß Bier über den Ausgang der bayerischen Wahl spekulieren dürfen.

Zwei Maß, dass ist bekanntlich der Füllstand, den der langjährige CSU-Innenminister Beckstein selbst einem gesetzestreuen Autofahrer noch durchaus zutrauen würde. Jedenfalls hat der forsche Franke unlängst in Erding (wo sonst?) erklärt: "Es ist nicht das Problem, wenn einer eine Maß trinkt, oder wenn er ein paar Stunden da ist, auch zwei..." Die unbedarfte Bemerkung ihres Spitzenkandidaten bringt die Bayernpartei zusätzlich in Bedrängnis. Auch ohne den verbalen Alkohol-Exzess: Die CSU ist nicht gerade berauscht von ihrem Erscheinungsbild. Zwei Wochen vor dem Wahlsonntag wächst die Nervosität.

Die Suche nach den und der Schuldigen hat bereits begonnen. Abgeordnete aus Landtag und Bundestag üben massive Kritik an der Münchner CSU-Zentrale und deren Wahlkampfführung. Generalsekretärin Christine Haderthauer muss sich für Pannen und Probleme verantworten. "Unsere Wahlkampagne ist festgefahren. Wir sind nicht in der Lage, auf kurzfristige Stimmungen flexibel zu reagieren", beschwert sich ein Berliner Abgeordneter. In der CSU-Landesgruppe wird allgemein die mangelhafte Mobilisierung beklagt. "Die Thermik fehlt, jetzt droht ein Strömungsabriss", formuliert es ein CSU-Mann in der Fliegersprache.

Bundespolitiker der CSU, die schon bei der Bundestagswahl 2005 unter die magische 50-Prozent-Marke gerutscht war, verfolgen den Endspurt in Bayern mit wachsender Sorge. Die Landtagswahl gilt als Lackmustest für das Superwahljahr 2009. Vor Journalisten widersprach Landesgruppenchef Peter Ramsauer gestern Ministerpräsident Beckstein, der die Große Koalition für mögliche Verluste der CSU in Bayern verantwortlich gemacht hatte. "Wir werden für die Kompromisse, die die Union dort machen muss, in Bayern in Haftung genommen", hatte sich Beckstein beschwert. Ramsauer entgegnete nun, Beckstein sei offenbar falsch verstanden worden. Es handle sich bei seiner Aussage weder um einen Erklärungsversuch, noch um eine vorweggenommene Schuldzuweisung. "Alle entscheidenden Fragen, die in der Großen Koalition beschlossen wurden, sind in den Führungsgremien der CSU abgenickt worden", betonte Ramsauer. "Schon allein deshalb gibt es keine Grundlage dafür, Hinweise auf Berlin zu machen." Den "schwarzen Peter" habe allein die SPD. Durch ihre "Machtkämpfe und Zerfallserscheinungen" werde die Regierungsarbeit belastet.

Die CSU erklärt den Papierkrieg: Haderthauer kündigte an, die Parteizentrale werde ihre Kampagne kurz vor dem Wahltag massiv verstärken - mit Massen-Mails, Annoncen, Flugblättern und Serienbriefen. Als eine wichtige Zielgruppe der CSU nannte sie Senioren. Nach Angaben von Landtagsabgeordneten gab es jedoch ausgerechnet hier bereits die nächste Panne: An Wähler wurden falsche CSU-Briefe verschickt - die angepriesenen Kandidaten stehen in den jeweiligen Stimmkreisen überhaupt nicht zur Wahl.

Unser Peer von der Feuerwehr

Er ist schon ein armer Tropf, der Finanzminister. Als er mit seinen Kabinettskollegen vor wenigen Wochen den Bundeshaushalt aushandelte, war das Wehklagen groß: Die einen attestierten Peer Steinbrück chronischen Geiz, weil er trotz erwarteter Steuermehreinnahmen nicht bereit sei zu mehr Investitionen, und zu einer spürbaren Entlastung der Bürger. Die anderen bezweifelten den Sparwillen der Regierung, weil sie erst im Jahr 2011 auf neue Kredite verzichten will.

Im Rückspiegel wirken diese Debatten fast komisch. Nach dem "Schwarzen Montag" in den USA stellt sich die Frage, ob der heute im Bundestag präsentierte Etat 2009 nicht morgen schon Makulatur ist. Auch wenn Steinbrück versichert, der Wochenbeginn sei in deutschen Geldhäusern "weitgehend stressfrei verlaufen" - noch ist völlig offen, wie sich der Flächenbrand in Amerika auf die europäischen Finanzmärkte, die Steuereinnahmen, die Exporte und den Konsum auswirken wird. Wird auch nur ein Teil der Krisenszenarien Wirklichkeit, können Regierung und Opposition ihre für das Wahljahr 2009 vorbereiteten Geschenklisten getrost in den Schubladen lassen.

Der Finanzminister spricht von einem Abschwung, noch nicht von einer Rezession. Es steht jedoch zu vermuten, dass Steinbrück mehr weiß als er mitzuteilen bereit ist. Da begibt sich der oberste Kassenwart auf eine gefährliche Gratwanderung: Wird es richtig brenzlig auf den Weltmärkten, muss der Bundesfinanzminister die Feuerwehr spielen - und die Risiken konsequent herunterreden, um Wirtschaft und Börsen nur ja nicht weiter zu verunsichern. Auf der anderen Seite kann nur eine offene, ehrliche Einschätzung der Lage die Unternehmen vor falschen Entscheidungen bewahren - und die Politik vor überhöhten Erwartungen der Bürger.

Montag, 15. September 2008

Guidos Spätsommer-Flirt

Guido Westerwelle kann sich noch so laut darüber empören, dass man Kurt Beck „wie einen alten Hund vom Hof gejagt“ habe. Die Krokodilstränen des FDP-Chefs lenken nur von der Tatsache ab, dass ihm der Führungswechsel bei den Sozialdemokraten in Wahrheit gut ins Konzept passt. Wwelle genießt es, wie ihm Steinmeier den Hof macht. Eine pragmatische, wirtschaftsorientierte Steini-Münte-SPD käme für die FDP zehnmal eher als Koalitionspartner in Frage als die unberechenbare, linkslastige Beck-Truppe. Obwohl noch völlig offen ist, welchen Kurs die Sozialdemokraten einschlagen werden, reicht ihnen der FDP-Generalsekretär schon heute die Hand. Er hoffe, dass „Frank und Franz“ (sic!) die SPD „wieder in die Mitte rücken, zu uns“, flötete der FDP-Mann Dirk Niebel in der letzten Woche.

Ernt nehmen muss man solche Annäherungsversuche nicht. Die FDP ist weiter entschlossen, nach der Bundestagswahl 2009 mit der Union eine Regierung zu bilden. Westerwelle will mit seinem Spätsommer-Flirt nur die CDU gefügig machen. Die Sozis scheren ihn wenig. Das wird schon daran deutlich, dass Westerwelle allen Ernstes die neue SPD-Spitze auffordert, deren Kandidatin Gesine Schwan zurückzuziehen und stattdessen CDU-Bundespräsident Horst Köhler zu unterstützen. Auf solche Forderungen wird sich die SPD nie einlassen. Eher würde Franz Müntefering noch zum Papst gewählt.

Ypsitube.com

Ein falscher Franz Müntefering hat bei der echten Andrea Ypsilanti angerufen und der hessischen Herrscherin ein paar peinliche Sätze entlockt. Ohne Verdacht zu schöpfen, plauderte das "Ypsi-Mädsche" (Jargon) munter über ihre bevorstehende Machtergreifung im allgemeinen und die Linke im besonderen. Obwohl die SPD-Juristen und das Radio-Management die Ausstrahlung sofort verbieten ließen, ist jetzt doch eine Kurzversion auf Youtube zu sehen - zwischenzeitlich sogar in 15-facher Ausführung. Der 1'43''-Clip ist offenkundig zensiert und aller pikanten Details beraubt, die in dem insgesamt siebenminütigen Gespräch ausgetauscht wurden - doch für eine beiderseitige Blamage reicht es allemal.

Jetzt fragt sich der naive Nachrichtenmensch natürlich, wie sowas denn überhaupt ins Internet gelangen kann - wo doch der Radiosender die Ausstrahlung unbedingt hatte verhindern wollen? Das zumindest beteuert die Programmdirektorin von "ffn". Die Frage nach der undichten Stelle müsste man tatsächlich stellen, wenn der gesamte Mitschnitt in die Öffentlichkeit gelangt wäre. Ist er aber (leider/noch) nicht. Was die bisher 100.000 Youtube-User zu hören bekamen, war eine sorgfältig frisierte und völlig harm- und belanglose Kurzversion, die dem geneigten Provinz-Publikum lediglich demonstrieren soll, dass ein escht witzischer Radiosendä die Ypschilanti so rischtisch duasch den Kakao gezoge hät. Eine durchaus geglückte PR-Maßnahme, mit deren Hilfe "ffn" die Kosten für den minderbegabten Stimmenimitator locker wieder reinspielt.

Verständlich, dass die SPD stinksauer ist ob der Indiskretion. Die Partei sollte künftig alle Telefonate auf Führungsebene, die seit dem Ende der Stasi nur noch sporadisch aufgezeichnet werden, digitalisiert ins Netz stellen, bevor wieder mal andere auf diese Idee kommen. Die letzte Telefonschalte mit Beck, Steinmeier, Münte, Steinbrück, Nahles und Heil - das wäre ein echter Hörgenuss. Und sollte auf Youtube langsam der Speicherplatz knapp werden: Die Domain "Ypsitube.com" isch noch frei.

Marketing aus der Mottenkiste: Adolf Hitler hilft Helmut Schmidt hilft Oskar Lafontaine

Im Dezember wird Helmut Schmidt 90 Jahre alt. An dieser Stelle sicherheitshalber vorab schon mal herzlichen Glückwunsch - ich kann mir Geburtstage nämlich so schlecht merken. Schmidtchens Gedächtnis scheint besser zu sein, jedenfalls hat der Politprofi im Laufe der Jahre nichts verlernt. Noch im hohen Alter lehrt uns der Mann, wie Marketing funktioniert.

Am Mittwoch dieser Woche stellt der Altkanzler in Berlin sein neues Buch vor - Titel: "Außer Dienst. Eine Bilanz". Damit auch kein Kunde die erste Lesung verpasst, hat Schmidt schon am Wochenende die Windmaschine angeworfen. Obwohl der "Zeit"-Herausgeber von den seichten Springer-Blättern bekanntlich wenig hält, und obwohl er immer wieder bekundet hat, sich nicht in die Tagespolitik einmischen zu wollen, verbreitete sich Schmidt in der "Bild am Sonntag" zur Lage der Nation. Wahrscheinlich hätte das 1345. Altkanzler-Interview niemanden interessiert, wenn der Autor nicht die Nazi-Karte gezogen hätte. Der geneigte Leser weiß: NS-Vergleiche sind zwar meistens grundfalsch und absolut hirnrissig, aber doch auch verkaufsfördernd (siehe Eva Herman). Was also macht Schmidtchen? Er vergleicht die rhetorischen Fähigkeiten des früheren SPD-Vorsitzenden und heutigen Linke-Chefs Oskar Lafontaine mit dem verbalen SSturmgeschütz Adolf Hitler: "Auch Adolf Nazi war ein charismatischer Redner. Oskar Lafontaine ist es auch", sagt Schmidt und schickt noch einen Vergleich mit dem französischen Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen hinterher. Doppelt hält besser.

In der Berliner Aufregungsrepublik geht von nun an alles seinen gewohnten Gang: Oskar freut sich über soviel öffentliches Interesse, hält sich aber mit einem Kommentar vornehm zurück, dafür drischt seine Linke munter auf Helmut Schmidt ein ("alterssenil"), während sich die Münte-Ypsilanti-SPD auf der Suche nach einer Erklärung in einem neuen Richtungsstreit verstrickt. Der Lafo-Streit wird das Land sicher bis Mittwochmittag in Atem halten. Dann darf endlich Schmidt mit seinem neuen Buch in die Kameras winken.

Nach der professionellen Promotion des Bundeskanzlers a.D. ist dem Siedler-Verlag ein gelungener Verkaufsstart garantiert. Wird auch Zeit, dass sich in der "Spiegel"-Bestseller-Liste endlich wieder mal was tut. Zur Zeit auf den ersten Plätzen: "Wer bin ich und wenn ja, wie viele?", "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" und "Ich bin dann mal weg". Allesamt gute Anregungen für neue Helmut-Schmidt-Werke. Ganz besonders der letzte Titel.