Donnerstag, 23. Oktober 2008

Wir hatten schon immer Recht...

Was ihre Verdrängungsleistung betrifft, könnte es die SPD mit einer ganzen Flotte von Atomeisbrechern aufnehmen. Auf ihrem Sonderparteitag haben die sonst so streitlustigen Sozialdemokraten im Eiltempo einen früheren Vorsitzenden zurück ins Amt gewählt und einen Kanzlerkandidaten nominiert, ohne sich auch nur einer Streitfrage zu stellen. Der Diskussion über den Reformkurs der SPD sind Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier ebenso ausgewichen wie der Debatte um das rot-rote Bündnis in Hessen. Die neue Parteispitze tut so als seien mit Kurt Becks Rücktritt alle Probleme gelöst.

Gleichwohl gab Steinmeier ein gelungenes Debüt: In einer kämpferischen Rede verstand es der Kanzlerkandidat, die alten Werte der Sozialdemokratie mit der aktuellen Finanzkrise zu verknüpfen. Im Wahljahr 2009 könnte die SPD von der neuen Diskussion um soziale Gerechtigkeit profitieren. Auch wenn die SPD zurecht für sich in Anspruch nimmt, frühzeitig vor den Exzessen auf den Finanzmärkten gewarnt zu haben: Jetzt kommt es nicht darauf an, wer Recht hatte. Was zählt ist der schnellste Weg aus der Krise. Und den gibt im Zweifel die Kanzlerin vor. Der populäre SPD-Finanzminister Peer Steinbrück leitet das Krisenmanagement, doch CDU-Chefin Angela Merkel erntet die Lorbeeren. Deshalb ist es fraglich, wie sehr die SPD im Wahljahr wird punkten können. Solange die Krise andauert, sind Müntefering und Steinmeier ohnehin die Hände gebunden. In schweren Zeiten erwarten die Bürger, dass die Koalition zusammenhält. Wer Streit sät, wird vom Wähler abgestraft.

Vollgas statt Schuldenbremse

Die Bundesregierung kann noch so sehr um den heißen Brei herumreden - das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2011 die Neuverschuldung auf Null zu reduzieren, ist nicht mehr zu halten. Der Staatskasse drohen unabsehbare Risiken: Selbst wenn der Bund für weniger Banken bürgen muss als befürchtet - durch die internationale Finanzkrise steht Deutschland am Rande einer Rezession.

Die gigantische Summe von 500 Milliarden Euro, die Bund und Länder zur Stabilisierung des Finanzmarktes bereitgestellt haben, verzerrt offenbar die Wahrnehmung: Immer lauter wird der Ruf nach einem milliardenschweren Konjunkturprogramm. Der Staat, heißt es, müsse ja auch etwas für die Bürger tun. Hinter dieser Forderung stehen gleich mehrere Missverständnisse. Erstens handelt die Regierung schon jetzt im Sinne der Bürger, wenn sie durch die Garantie von Liquidität den Kollaps einzelner Banken verhindert. Zweitens würde sich ein schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm - wie schon so oft in der Geschichte - schnell als Strohfeuer erweisen. Durchaus sinnvoll wäre dagegen das Vorziehen ohnehin geplanter Steuererleichterungen. Gezielte Anreize etwa für den Kauf sparsamer Neuwagen könnten die Wirtschaft zusätzlich stimulieren, ohne den Bundeshaushalt zu stark zu belasten. Auch in schweren Zeiten muss die Koalition zu ihrem Ziel stehen, die Neuverschuldung zu stoppen.

Die Würde des Menschen ist undurchleuchtbar

Dass alle Tabus und alle Hüllen fallen, dass Passagiere auf Flughäfen elektronisch entkleidet und bis auf die Haut durchleuchtet werden, das hätte sich selbst der Überwachungspoet George Orwell in seinen kühnsten Phantasien nicht ausgemalt. Mit den "Nacktscannern" erreicht der moderne Überwachungsstaat eine neue Dimension. Datenschützer und Bürgerrechtler gehen auf die Barrikaden, doch die EU-Kommission hat mit der neuen Technik kein Problem: Die Durchleuchtungsmaschine sei technisch einwandfrei - und der Striptease am Flughafen "freiwillig", heißt es.

In Wahrheit hat der Bürger kaum noch eine Chance, sich der Überwachungsapparatur zu entziehen. Freiwillig und unbemerkt lassen wir unsere Konten vom Finanzamt durchleuchten, unsere Telefondaten speichern, unsere Handys orten. Wer am öffentlichen Leben teilnehmen will, kann sich der täglichen Zwangsdurchleuchtung nicht entziehen. Das beginnt morgens am Bahnhof und endet abends am Geldautomaten. Die Erfahrung lehrt, dass jede verfügbare Technik auch zum Einsatz kommt - also auch die Scanner an Flughäfen. Die Väter unserer Verfassung konnten nicht ahnen, zu welchen Exzessen die Angst vor Terroranschlägen führen würde. Sonst hätten sie den ersten Artikel des Grundgesetzes gewiss ergänzt: Die Würde des Menschen ist unantastbar - und undurchleuchtbar.

Dienstag, 14. Oktober 2008

Die Schrödermünteplatzeckbeckmünte-Partei

Dass die SPD in schöner Regelmäßigkeit fast jedes Jahr einen neuen Vorsitzenden wählt, daran hat man sich nach den Rücktritten von Schröder, Müntefering, Platzeck und Beck schon gewöhnt. Nur die Harmonie, die in der SPD gegenwärtig um sich greift, ist noch gewöhnungsbedürftig. Obwohl der erhoffte "Münte-Effekt" bisher ausgeblieben ist und die SPD fünf Wochen nach dem Führungswechsel in Umfragen weiter bei 25 Prozent dümpelt, hat das Hauen und Stechen ein Ende gefunden. Statt mit sich selbst beschäftigt die SPD sich vorerst wieder mit Politik und dem politischen Gegner.

Mit Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und dem neuen alten Vorsitzenden Franz Müntefering hat die SPD ihre Chancen für das Superwahljahr 2009 deutlich verbessert. Die Angriffsformation steht: Während Außenminister Steinmeier weiter den Staatsmann gibt, wird Müntefering auf Angriff spielen. Komplettiert wird die neue Troika durch Peer Steinbrück, den populären Finanzminister, der gegenwärtig alles daran setzt, der Bundeskanzlerin in der Bankenkrise die Schau zu stehlen.

Die Personalfragen sind geklärt, was fehlt ist ein Programm. Bisher haben Müntefering und Steinmeier ihre Partei im Unklaren gelassen, wie sie sich den künftigen Kurs der SPD vorstellen: Ab durch die Mitte, zurück nach rechts oder weiter nach links? Spätestens, wenn 2009 das Wahlprogramm vorliegt, wird die neue Harmonie der SPD auf eine ernste Probe gestellt.

Freitag, 10. Oktober 2008

Konkurrenz am rechten Rand

Der Union droht Gefahr von Rechts: Nach dem Wahlerfolg in Bayern könnten die Freien Wähler auch bei Bundestagswahl 2009 antreten. CDU und CSU stehen der konservativen Konkurrenz ratlos gegenüber.

Der Mann, der Angela Merkel gefährlich werden kann, heißt Armin Grein, ist pensionierter Landrat, 69 Jahre alt und wohnhaft im fränkischen Marktheidenfeld. Bisher ist Grein als Bundesvorsitzender der Freien Wähler (FW) kaum in Erscheinung getreten. Die 1946 gegründeten Wählergruppen waren nach Kriegsende fast ausschließlich auf kommunaler Ebene aktiv - nach eigenem Bekunden "frei von parteilichen Interessen". Obwohl sich die Freien Wähler großen Zulaufs erfreuen, sind sie beim Einzug in die Länderparlamente meist gescheitert. Der Triumph von Bayern, wo die Freien aus dem Stand mehr als zehn Prozent der Stimmen holten, könnte die Trendwende markieren.

Beflügelt vom Erfolg im Süden, wollen die Wählergruppen nun auch bei den Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein antreten. Selbst eine Kandidatur bei der Bundestagswahl 2009 ist im Gespräch. "Um das Ganze aufzubauen, braucht es Zeit und Geld", sagt Bundeschef Grein. Um die Fünf-Prozent-Hürde überwinden zu können, müssten die Freien Wähler flächendeckend antreten. Die Gruppierung bringt es zwar in ganz Deutschland auf rund 260000 Mitglieder - fast halb so viele wie die CDU - ist jedoch bisher nur in jedem zweiten Bundesland etabliert. Besonders in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben die Freien ihre Bastionen. Bundeschef Grein räumt ein, dass eine bundesweite Ausdehnung intern höchst umstritten ist. Es gebe in den Gemeinde- und Stadträten viele Mitglieder, die schon der Landespolitik kritisch gegenüber stehen - ganz zu schweigen von einer Bundestagskandidatur. Auch Grein zeigt sich skeptisch: "Ich gehe kein Abenteuer ein, wo ich von vornherein weiß, dass es nicht gelingt."

Auch wenn die Freien Wähler noch zögern - in den Parteizentralen von CDU und CSU schrillen die Alarmglocken. Nachdem die CSU in Bayern um mehr als 17 Prozent abstürzte, kommt die Union bundesweit in Umfragen nur noch auf 33 Prozent. Gleichzeitig ermittelten Wahlforscher, dass sich fast jeder zweite Deutsche vorstellen kann, seine Stimme den Freien zu geben.

Weil die Union die Gründung einer zweiten bürgerlichen Partei fürchtet, wird der Ruf nach einer Kurskorrektur immer lauter: Statt Stammwähler mit Themen wie Klimaschutz und Krippenausbau zu verscheuchen, müssten endlich mehr Akzente in der Steuer- und Sicherheitspolitik gesetzt werden, heißt es in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Gerade die bürgerlichen Wähler fühlten sich vom Staat ungerecht behandelt, warnt der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Karl Lauk. "Die Union muss die verbleibende Zeit in der Großen Koalition dafür nutzen, Profil zu gewinnen. Wenn sie das versäumt, droht ihr im Bund ein ähnliches Schicksal wie der CSU in Bayern."

Der neue CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kündigte in seiner Antrittsrede an, er werde neben Wirtschafts- und Sozialpolitik "auch das Kernwähler-Potenzial der Nationalkonservativen pflegen". Seehofers Sorge: Die Freien Wähler könnten mit populistischen und radikalen Tönen das Vakuum am rechten Rand füllen. Zum bundesweiten Durchbruch fehle der Rechtspartei dann nur noch ein prominenter Kopf, meint ein weiterer Unionsmann: "Wenn Friedrich Merz oder Wolfgang Clement in den Ring steigen, dann kriegen wir dasselbe Problem wie die SPD mit Lafontaine und der Linken." Eine Gefahr, die auch der konservative Vordenker Wolfgang Schäuble beschreibt: "Natürlich muss die Union in Deutschland immer darauf achten, sich nicht von der Entwicklung der Sozialdemokraten anstecken zu lassen", mahnt der Innenminister. Bisher aber sei es CDU und CSU in ihrem Spektrum gelungen, "eine Zerfaserung zu verhindern und ihre Integrationskraft zur Mitte hin zu bewahren", so Schäuble.

Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel hält die Warnungen für überzogen. Sie will die Union weiter als "Partei der Mitte" behaupten. Hauptgegner sei die SPD, der eingeschlagene Modernisierungskurs deshalb "alternativlos", meint Merkel. Das Dilemma der CDU: Trotz moderner Themen wird sie in der Bevölkerung immer mehr als Rentnerpartei wahrgenommen. In einer Allensbach-Umfrage schrieben Bürger der Union ein "gefühltes Alter" von 60 Jahren zu. Die SPD kam immerhin auf 55, die Grünen auf 40 Jahre.

Dienstag, 7. Oktober 2008

Die Auferstehung eines Unbequemen

Es ist der späte Sieg des ewigen Zweiten: Mit Horst Seehofer setzt sich ein Mann an die Spitze der CSU, dessen politische Karriere einmalig ist in der deutschen Politik. Schon oft war er gescheitert, jetzt steht er ganz oben – in Ehrfurcht erstarrt. Kann der künftige Ministerpräsident die Erwartungen erfüllen, die er selbst geweckt hat?

Der Mann, der an diesem Abend in der Lobby eines Hotels vor einem Glas Bier sitzt, wirkt müde und mausgrau. Es ist der Tag, an dem sein „Lebenstraum“ in Erfüllung ging, es ist die Stunde seines größten Triumphs. Doch Horst Seehofer ist nicht zum Feiern zumute. Zwei Nächte hat der 59-Jährige nicht geschlafen, stattdessen Telefonlisten abgearbeitet und Gespräche geführt. Die Menschen, die nun zu später Stunde an ihm vorbeilaufen, die ihm die Hand hinstrecken wollen, um zu gratulieren, nimmt er kaum wahr. Der Zwei-Meter-Mann ist ins Sofa versunken und in Gedanken. Es scheint, als sei Seehofer auf sich allein gestellt, wie schon so oft in seiner politischen Karriere.

Wenige Stunden zuvor hatte er eine öffentliche Erklärung abgegeben. Es ist, wie sich später zeigen wird, seine Abschiedsvorstellung in Berlin. Die Journalisten im Bundestag kennen ihn als Sozialapostel und Sunnyboy, als rauflustigen Rebellen und notorischen Nörgler, als Spötter und Solisten. An diesem Tag erleben sie einen anderen Seehofer, einen von wachsenden Selbstzweifeln und großer Ratlosigkeit geplagten Kandidaten, den die Bürde der neuen Ämter fast in die Knie zwingt. Als müsse er Halt suchen, klammert sich Seehofer mit beiden Händen am Rednerpult fest. „Die Aufgabe, für die ich jetzt kandidieren werde, ist eine sehr, sehr große und verantwortungsvolle. Es geht schlicht und einfach darum, die Christlich-Soziale Union in ihrem Mythos, in ihrer Einmaligkeit, in ihrer Erfolgsgeschichte der letzten fast fünf Jahrzehnte zu stabilisieren, Verlorenes zurückzugewinnen und die Anforderungen der Zukunft einer modernen, frischen Volkspartei zu erfüllen“, sagt Seehofer ins Mikrofon, den Blick starr nach vorn gerichtet. Wenn man die Last politischer Verantwortung mit Händen greifen könnte, dann in einem Moment wie diesem.

Er hat gekämpft für diesen Traum, fast 30 Jahre lang. Jetzt, da er auf der Zielgeraden ist, beginnt Horst Seehofer zu begreifen, dass der eigentliche Marathon gerade erst beginnt.

Ehrfurcht, Demut, Zweifel? Man hat dem Bundesagrarminister aus Ingolstadt ja vieles nachgesagt in den letzten Jahren. Dass er ein Hasardeur sei, ein selbstverliebter und eitler Einzelkämpfer, einer, der seines Egos wegen sogar sein Parteibuch verkaufen würde. Der künftige Vorsitzende und Ministerpräsident ist nicht sonderlich beliebt auf der Kaviaretage der CSU. „So gut wie jeder hat mit ihm eine Rechnung offen“, behauptet ein Parteipräside. Das mag damit zusammenhängen, dass Seehofer von Geburt an dem Verein für deutliche Aussprache angehört. „Für mich kommt die Loyalität gegenüber der Bevölkerung an erster Stelle, erst dann kommt die Loyalität gegenüber den Grundsätzen der CSU“, hatte der damalige Fraktionsvize 2004 gesagt, als er aus Protest gegen die Gesundheitsreform der Union sein Amt zurückgab. Damals erklärte sich Seehofer selbst für „politisch tot“. Nur ein Jahr später saß er als Bundesminister im neuen Kabinett von Merkel, deren CDU er gerne als „Nickerclub“ verspottet.
Sein ganzes Leben ist eine Auferstehung: Bis aufs Blut bekämpft die deutsche Ärzteschaft ab 1992 den juvenilen Bundesgesundheitsminister, doch Seehofer tritt aus der verlorenen Schlacht als strahlender Reformer hervor. Mit dem Machtwechsel 1998 verliert er sein Amt, profiliert sich aber schnell auf den Oppositionsbänken. Drei Jahre später der bislang gefährlichste Rückschlag: Nach einer verschleppten Grippe erleidet Seehofer einen Zusammenbruch, kommt mit einer lebensbedrohlichen Herzmuskelentzündung gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus. Monate vergehen, bis er wieder arbeiten kann. Die Krankheit ist auskuriert, seine Sucht nach Einfluss und Geltung nicht. 2003 überwirft sich Seehofer erst mit Edmund Stoiber und dessen Basta-Politik („Bei mir geht es nicht nach Befehl und Gehorsam“), im Jahr später dann mit Merkel. Wie häufig in seinem politischen Leben zieht er sich zurück, kapselt sich ab, ist wochenlang für niemanden zu sprechen. Als Seehofer 2005 vorübergehend den Vorsitz des Sozialverbands VdK in Bayern übernimmt, der allein im Freistaat mehr als eine halbe Million Mitglieder hat, schrillen bei der CSU die Alarmglocken: Stoiber fürchtet, Seehofer könnte der Union in seiner neuen Funktion die Hölle heiß machen und eine soziale Gegenbewegung gründen. Der Raufbold wird ruhiggestellt, bekommt wieder ein Ministeramt.

„Ich bin dankbar, dass mir der Herrgott Steherqualitäten gegeben hat“, sagt Seehofer, als er sich im September 2007 auf dem Parteitag um den CSU-Vorsitz bewirbt. Seit Wochen wird er von Boulevardjournalisten und Fotografen verfolgt, die sich für das uneheliche Kind interessieren und die Affäre mit einer jüngeren Juristin. Der vierfache Vater aus Ingolstadt nimmt sich viel Zeit zur Ordnung seines Privatlebens, zu viel Zeit. Über Monate war er der Umfragekönig, jetzt stürzt er ab. Als hätte er nicht schon genug Probleme, teilt Seehofer dann auch noch einem Reporter mit, er habe „viel Material“ über die Umtriebe prominenter Parteifreunde. Die Quittung folgt: Seehofer bleibt unter 40 Prozent, sein Kontrahent Huber wird auf dem Parteitag mit 58 Prozent zum neuen CSU-Vorsitzenden gewählt.

Was er von Günther Beckstein und Erwin Huber und ihrem Tandem hält, sagt er den beiden direkt ins Gesicht. „Es tut mir leid, aber Ihr könnt es einfach nicht.“ Auch diese Szene spielt in einer Lobby. Der Rivale sitzt fest im Sessel, die Doppelspitze versinkt in einem Ledersofa. Wenn es darum geht, seine Meinung zu sagen oder seinen Standpunkt zu wechseln, ist kein anderer in der Union so kühn wie Seehofer. Im Volk und an der Basis mag diese Eigenschaft populär sein. Mal ist er gegen die Kopfpauschale, mal dafür, mal ist er gegen Gentechnik, mal dafür - die Bürger in Bayern nehmen ihm das scheinbar nicht übel. Im Gegenteil: In Umfragen genießt der Quertreiber höchste Glaubwürdigkeit. In einem hierarchischen und harmoniesüchtigen Funktionärsapparat aber schafft man sich mit solchen Volten keine Freunde.

Wenn diesmal alles nach Plan laufen sollte in dieser planlosen Partei, wird der künftige CSU-Chef heute zum designierten Ministerpräsidenten gekürt. Ausgerechnet von einer Landtagsfraktion, die den Bundespolitiker nie hatte leiden können, und über die er sich nur selten wohlwollend geäußert hat. Beiden bleibt keine andere Wahl: Nach der Demontage der CSU ist Seehofer der einzige Hoffnungsträger weit und breit.

Ursprünglich hatte Seehofer in Berlin bleiben wollen, mit Blick auf die Wahl 2009 schielte er schon wieder auf sein geliebtes Bundesgesundheitsministerium. Jetzt tritt er die Nachfolge seines Ziehvaters Franz Josef Strauß an, übernimmt die Spitzenämter in Partei und Staat in einem der schwierigsten Momente in der Geschichte der CSU.

Zum ersten Mal in seiner politischen Karriere habe er „leichten Bammel“ vor der Größe einer Aufgabe, sagt Seehofer am Dienstag, dem Vorabend der entscheidenden Sitzung der Landtagsfraktion. Die Partei sei verunsichert und gespalten, die Erwartungen an ihn allzu hoch, bekennt er im kleinen Kreis. Er sei sich nicht sicher, ob er sie werde erfüllen können.
Horst Seehofer ist sich bewusst, woran er gemessen wird: An der jahrzehntelangen Erfolgsgeschichte der CSU – und an seinen eigenen Worten. Er selbst hatte noch vor einem Jahr damit geprahlt, bei der Landtagswahl seien 60 Prozent drin. Mehr als 50 Prozent müssten es aber auf jeden Fall sein, damit ein Ministerpräsident und ein Parteichef ihre Ämter wirklich verdient hätten. Diese Worte, das weiß Seehofer, richten sich jetzt an ihn selbst.

Linke Tasche, rechte Tasche


Man könnte meinen, das Christkind stehe schon vor der Tür. Die SPD spricht von „deutlichen Entlastungen“ für die Bürger, die Union von „einem guten Tag für die Steuerzahler“. Mehr Geld für Familien und Kinder, für Arbeitnehmer und Arbeitslose – die Große Koalition gibt sich großzügig. Wenn es für eine Steuerreform und eine grundlegende Entlastung schon nicht gereicht hat, will die Bundesregierung vor dem Superwahljahr 2009 wenigstens ein paar kleine Geschenke verteilen. Doch leider erweist sich das vermeintliche Wellness-Paket als mittelmäßige Mogelpackung.

Im Prinzip bleibt es bei der bewährten Merkel-Methode „Linke Tasche, rechte Tasche“: Die von der Union so vollmundig angepriesene Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge gilt nur vorübergehend und wird durch die steigenden Krankenkassenbeiträge wieder aufgefressen. Augenwischerei ist da der Hinweis der Regierung, man werde ab 2010 den Bürgern mehr als 9 Milliarden Euro zurückgeben und die Kassenbeiträge steuerlich absetzbar machen. Der Vollständigkeit halber: Es ist das Bundesverfassungsgericht, das den Staat zu diesem Schritt zwingt. Auch das höhere Kindergeld und der höhere Kinderfreibetrag sind keine Großtaten der Koalition, sondern im Grundgesetz verbürgte Pflichtleistungen, um die der Staat nun nicht mehr umhin kommt.

Wer jetzt so zu tut, als handle es sich bei dieser Minimalentlastung um ein politisches Gesamtkunstwerk, will die Wähler für dumm verkaufen. Schlimmer noch: Weil sie die Bankkunden nicht verschrecken will, verschweigt die Regierung, welch gigantische Risiken im Zuge der internationalen Finanzkrise noch auf den Staatshaushalt zurollen. Kein Minister wollte sich bisher dazu äußern, was die Krise für Konjunktur und Arbeitsmarkt konkret bedeutet. Wenn nur annähernd eintritt, was seine Experten befürchten, wird Weihnachten für den Finanzminister ausfallen.